Wagennummern und -verzeichnisse - nur ein Thema für Nietenzähler?

Dr. Gert von Rosen – von Hoewel

Um die Antwort gleich vorweg zu nehmen, die Entscheidung darüber ist reine Geschmacksache. Es ist ebenso gut, wenn Jemandem die Wagennummern als nicht vermeidbare Dekoration eines Wagenmodells ausreichen oder wenn man auf korrekte Wagennummern Wert legt. Der zweite Standpunkt macht jedenfalls dann Sinn, wenn die Bahnnummern dem Liebhaber als Mittel dafür dienen, sich das Leben und Wirken vergangener Zeiten zu erschließen, was nachstehend durch Erläuterung der Nummerierungen und einiger Beispiele aus dem Bahnbetrieb erläutert werden soll.

Nummern sind ihrem Wesen nach Elemente eines Ordnungsprinzips, vergleichbar mit den Namen in der belebten Welt. So erhält nicht nur jeder Mensch seinen individuellen Namen, sondern die Systematiker geben auch den Arten der Tier- und Pflanzenwelt einen bestimmten Namen, damit sich z.B. verschiedene Forscher bei der Entwicklung einer spezifisch wirkenden Abwehrmethode darüber verständigen können, mit welcher Schädlingsart sie arbeiten. Jede Bahngesellschaft hat ihre Wagen mit Nummern versehen, damit sie eine einfache Handhabe hat, den sinnvollen Betriebseinsatz der Wagen zu steuern oder die Wagen bezüglich ihres Sicherheitsstandards besser überwachen zu können. Um die Übersicht zu behalten erfasste man die Nummern in Listen, die zu einem Teil Ausgangspunkt der nachstehenden Betrachtung sind.

Die älteste Aufstellung der bayerischen Staatseisenbahn, die im bayer. Hauptstaatsarchiv München, Abteilung Verkehrsarchiv (VAM) aufgefunden werden konnte, stammt vom 13. Februar 1846 und ist tituliert: „Verzeichniss saemtlicher Personen u: Transportwagen.“ Die anfängliche Begeisterung wich sehr bald der Ernüchterung, weil bei den Nummern erhebliche Lücken festzustellen waren. Es waren nämlich nur die Wagen erfasst worden, die der München-Augsburger Linie zugeteilt waren. Das ergibt sich daraus, dass die Liste vom Münchener Bahnamt erstellt worden ist und dass sie auch die Wagen der ehemaligen privaten Vorläufer Gesellschaft einschließt.

Aufgelistet wurden neben Bahnnummer und Wagengattung auch die „Tara“ in „Pfund“, das Eigengewicht, dann in einigen Fällen die Angabe, um wie viel die Tara von der ursprünglichen, am Wagen angeschriebenen abwich und außerdem bei den Pack- und Güterwagen das „Traggewicht“ in „Centner“. Damit wird auch der Anlass der Aufstellung erkennbar. Es gab nämlich einen Disput zwischen dem Augsburger Großhändler Schmidt und der Staatsbahnverwaltung, weil beide Vertragspartner immer unterschiedliche Gewichte für das Ladegut des Händlers ermittelt haben. Dieses wurde anscheinend von der Bahn aus der Differenz von Gesamtgewicht des beladenen Wagens minus angeschriebener Tara bestimmt. Eine Kontrollabwiegung der leeren Wagen ergab, dass alle leichter waren als zu Anfang; in einem Fall um ca. 7%, was die Bahn mit Trocknungsvorgängen beim Holz erklärte1. Aber gerade die Angabe der Tara in hat entscheidend dazu beigetragen, das Ordnungsprinzip der Liste zu verstehen, das in einigen Aspekten von dem uns gewohnten Bild abweicht.

Als erstes fällt auf, dass die beiden Hauptgattungen, die „Personenwagen“ und die „Gütertransportwagen“ getrennt und jeweils bei „1“ beginnend durchlaufend nummeriert wurden. Ziemlich durchgehend ist die Nummernfolge der ersten 26 Personenwagen (1...34), vollständig bei den folgenden drei Packwagen (35-37) und bei den ersten 22 Güterwagen (1-22). Das waren die früheren Privatwagen, die Wagen „alter Bauart“ wie man sie jetzt nannte. Ihre Anzahl kommt den Angaben, die Marggraff 1894 zum Wagenbestand bei der Übernahme durch die Staatsbahn gemacht hat nahe. Außerdem handelte es sich bei den Wagen 1. Klasse um ungemischte Wagentypen, wie es sie zu diesem Zeitpunkt bei der Staatsbahn noch nicht gab. Die relativ geringe Tara der Wagen (ca. 5000 – 7000) und insbesondere die angegebene Tragkraft von 50 Zentner belegen dasselbe. Letztere war nämlich 1844 von der Staatsbahnverwaltung speziell für die Wagen alter Bauart, die ausnahmslos 2-achsig und relativ schwach waren, auf diesen Wert festgesetzt worden 2.

Bezüglich der noch existierenden Personenwagen alter Bauart ist die Liste allerdings etwas unklar. Es waren 2 Wagen 2. und 4 Wagen 3. Klasse nicht aufgeführt, die in der Demolierungsliste von 1850 wieder auftauchen (s.u.). Eine Versetzung der alten Wagen auf andere Linien erscheint unwahrscheinlich; vielleicht waren die Wagen bereits ausrangiert aber abgestellt noch vorhanden. Die Ursache der Unstimmigkeit wird wohl nicht mehr zu klären sein.

Die schweren Wagen der Liste (Tara ca. 8000 – 10000) waren 1 Salonwagen, 1 Wagen 1./2 Klasse Nr.10 (s.u.), 2 Wagen 2.Kl., 6 Wagen 3.Kl.; 4 Packwagen und 7 Güterwagen. Die beiden letzteren Gattungen waren mit 135 Ztr. Tragkraft typisch für 3-achsige Staatsbahnwagen gemäß der Festlegung von 1844. Es handelte sich also um Wagen, die von der königlichen Wagenbau-Anstalt in Nürnberg angefertigt worden waren. Die genannten Personen- und zwei der Gepäckwagen gehörten zu denen, die zum Oktoberfest 1845 auf die München-Augsburger Linie überstellt werden sollten. Mit der Verheißung: „so wird auch die München-Augsburger Bahnstrecke eine einer königlichen Bahn mehr würdige Ausstattung an Transportmitteln erhalten.“ wurde die Lieferung einer zweiten Zuggarnitur für das folgende Jahr angekündigt; außer den zuerst gelieferten Packwagen hatten sie in der alten Aufstellung keine Berücksichtigung mehr finden können 3.

Weil jede Nummer zweimal vorkam wurde dieses erste Anordnungssystem bei zunehmendem Bestand immer unübersichtlicher, denn es gab noch keine Gattungszeichen. Deshalb wurde mit Sicherheit im Sommer 1846 das System umgestellt, denn in amtlichen Schreiben vom November 1846 sind die Wagen bereits nach einem neuen System bezeichnet:

Die Wagen alter Bauart behielten ihre Nummern, wurden aber nicht mehr in das neue amtliche Wagenverzeichnis übernommen. Sie dienten zunehmend als Reservewagen bis sie 1850 in der Augsburger Hauptwerkstätte „demoliert“ d.h. zerlegt worden sind. Die echten Staatsbahnwagen wurden in der Reihenfolge ihrer Anschaffung mit „1“ beginnend aufgelistet. Ein Postwagen war in einem Schreiben versehentlich unter „50“ aufgeführt aber nach „60“ korrigiert worden 4. Die Verschiebung hatte sich ergeben, weil die Güterwagen hinter die Personenwagen und vor die 3-achsigen Gepäckwagen eingereiht worden sind. Bei der Neuordnung hatte man nämlich die bisherigen Wagen in etwa nach Gattungen gruppiert, was nachher nicht immer der Fall war. Interessante Hinweise auf die Neuordnung liefern auch Berichte zum Brand des provisorischen Bahnhofs bei München am 4.4.1847. Laut Schadensbericht war u.a. der 1./2. Kl. Wagen Nr. 10 (s.o.) verbrannt 5. Diese Nummer trug inzwischen ein Wagen 3. Klasse; der verbrannte hatte die neue Nr.“1“ gehabt, wie es 1851 in einem anderen Schreiben des Bahnamtes richtig dargestellt wurde 6.

Das ist schon das zweite Beispiel an dem man noch heute zeigen kann, dass es damals einigen Bahnbeamten Schwierigkeiten gemacht hat, sich vom alten System auf das neue umzustellen. Es ist also keineswegs überraschend, dass bei der Fülle von Daten weitere Fehler in den Verzeichnissen nicht ausgeschlossen werden können, so dass bei deren Auswertung immer Vorsicht geboten ist.

Ein zweites Ordnungsmerkmal, die Gattungsbezeichnung in Gestalt von Großbuchstaben hatten 1858 die „königlich privilegirten bayerischen Ostbahnen“ (B.O.B.) eingeführt, also von Anfang an und noch vor der Staatsbahn; bei letzterer geschah das zum 15.5.1867. Dem Großbuchstaben wurde bei Bremswagen zusätzlich „br.“ nachgestellt. Das Gattungszeichen war hier unbedingt notwendig, weil die Wagen jeder Gattung mit „1.“ beginnend durchnummeriert wurden. Dieses System musste 1872 geändert werden: „Nach den neuen technischen Vereinbarungen soll die Numerirung sämtlicher Wagen jeder Bahn eine durchlaufende sein, und ist diese Bestimung als obligatorisch (verpflichtend, v.R.) aufgenomen7. Die Gesellschaft besaß drei Salonwagen: „A. 1.“ - „A. 3.“. Es folgten die ältesten 1./2.Klasse Wagen: anfangs „A.B. 1.“ - „A.B. 30.“ jetzt „A.B. 21.“ - „A.B. 50.“ und so fort. Die Lücken waren für später zu liefernde Wagen offen gehalten worden. Vier Jahre später war auch das wieder hinfällig, weil nach der Verstaatlichung der Wagenpark der Ostbahnen nach dem Prinzip des neuen Eigentümers in dessen Verzeichnis eingereiht wurde und zwar von 14001 - 18301. Die Gattungs-Buchstaben beider Bahnen wurden neu verteilt; nur die Steintransportwagen „L.“ und die Großviehwagen „O.“ der BOB behielten ihren bisherigen, weil die Staatsbahn solche Wagen nicht besaß.

Einem Verzeichnis sollte man das relative Alter der Wagen entnehmen können, indem die Wagen umso jünger wie die Nummern größer sind. Von dieser Beziehung gibt es jedoch viele Ausnahmen. Es war z.B. von 1858 bis 1861 eine Serie von gedeckten Güterwagen von der BOB eingestellt worden mit einem hölzernen Untergestell und dem Radstand von 3,21m. Zwei Bremswagen und fünf nicht gebremste Wagen innerhalb des Nummernblocks jener Serie hatten nach den amtlichen bebilderten Verzeichnissen, die für die Jahre ab 1876 im Nürnberger DB Museum vorliegen, ein eisernes Untergestell mit einem Radstand von 3,59m, was natürlich im Widerspruch zu den Angaben in den BOB Verzeichnissen steht. Beides waren nämlich Konstruktionsmerkmale der gedeckten Wagen ab 1866. Das Ganze hing mit einem Unfall zusammen, der sich 1867 im Badischen bei Heidingsfeld, zwischen Würzburg und Heidelberg gelegen ereignet hat. Jene 7 alten Wagen waren vollständig zertrümmert worden. Es wurden sofort 7 neue Wagen bei Klett in Nürnberg bestellt, die nach dem jetzt gültigen Programm gebaut wurden. Trotzdem erhielten sie die Nummern der Vorläufer Wagen. Das war eine damals gängige Praxis, so dass man ohne Abbildung oder Angaben zu Konstruktionsdetails der Wagen nie sicher sein kann, ob es sich um eine Erst- oder Zweitbesetzung handelt bzw. ob ein Wagen das Alter hat, das der Position im Nummernverzeichnis entspricht.

Obwohl die Praxis der 2. Besetzung im Laufe der Zeit unterbunden wurde, wich man noch kurz vor 1894 zumindest in fünf Fällen davon ab. Die sechs kürzesten 1./2. Klasse Wagen der BOB sind 1889 bzw. 1891 umgebaut worden indem jeweils zwei zu einem Wagen zusammengesetzt wurden unter Zwischenschaltung eines mittigen Toiletten Bereichs. Diese drei neuen Wagen waren die ersten Drehgestellwagen der Staatsbahn; sie erhielten Nr. 1-3. Der 1890 ebenfalls durch Umbau entstandene Privatsalonwagen des Fürsten von Thurn & Taxis erhielt die Nr. 4 und der erste vierachsige Schwertransportwagen schließlich die Nr. 600. Allerdings waren jetzt Missverständnisse der oben erwähnten Art ausgeschlossen, nachdem es zu jener Zeit praktisch keinen Wagen mit einer kleineren Nummer als 1000 gab, wenn man von den Torfmunitions- oder Königswagen absieht.

Bei der kurz darauf folgenden Neuordnung des Nummernsystems wurden 1893/94 diese Wagen zusammen mit den übrigen in Nummernblöcken eingereiht, sortiert nach Gattung und innerhalb dieser nach Alter. Im Prinzip blieb die frühere Reihenfolge der Wagen innerhalb einer Gattung erhalten. Erst bei der nächsten Neuordnung von 1912/13 wurden besonders die Güterwagen einiger Bauserien innerhalb ihres Blockes umgruppiert, indem alle Wagen eines Oberbahnamtes (Augsburg, München, Nürnberg, Regensburg, Würzburg) zusammengefasst worden sind. Leider sind in der entsprechenden Bekanntmachung Spezialwagen wie die Bierwagen nicht aufgeführt. Nachdem diese sogar nach Tragfähigkeit umgruppiert wurden, war es einiger maßen mühsam, alt und neu richtig zusammen zu führen.

Die Beschäftigung mit den Wagennummern wurde angeregt durch die Neugierde zu erfahren, aus welchen Wagen die umgebauten entstanden sind. Wurde der Neuaufbau vor 1894 durchgeführt, lässt sich mit Hilfe des Nummern- Verzeichnisses meist sehr einfach ermitteln, wie der Ursprungswagen ausgesehen hat. Allerdings kann man auch hierbei auf mancherlei Ungereimtheiten stoßen. bayerischer SchneepflugBei der ältesten Schneepflug Abbildung in den bebilderten Verzeichnissen handelt es sich um ein ab 1887 gebautes Gefährt, für das man Untergestelle von Ostbahnwagen verwendet hat. Bei einem diente ein Steintransportwagen von 1860 als Spender. Nach der Nummer war das ein ungebremster Wagen, das neue Fahrzeug war aber gebremst. Das ist insofern verwunderlich weil er Auftritte und Bremsapparatur aufweist, die typisch für die Ostbahn waren. Es ist aber schwer vorstellbar, dass man sich die Mühe gemacht hätte um solche alten Einrichtungen von einem Bremswagen umzumontieren. Hat man sich bei der Nummernangabe vertan? Unabhängig von solchen nebensächlichen Problemen lässt sich so in vielen Fällen der Dienstweg eines Wagens verfolgen bis er als Bahndienstwagen oder im ungünstigeren Fall als Stationswagen oder Lagerhütte endend einige Jahre lang sein Gnadenbrot bis zur Verschrottung fristen konnte. Oft fanden nur Teile eines alten Wagens Weiterverwendung wie z.B. die Untergestelle einiger BOB-Wagen, die für neu gebaute Eich- und Eichbeiwagen eingesetzt wurden oder für Kesselwagen für Fäkalien.

Zur Erfassung der ganz frühen Wagen wurden die „Uebernahms-Certifikate“ ausgewertet, die mehrere Akten des Staatsarchivs füllen. Solche Bescheinigungen wurden ab 1850 mit Beginn der Auftragsvergabe zum Wagenbau an die Privatindustrie ausgefertigt. In ihnen wurden die Wagen mit einigen Merkmalen und die Nummern von Wagenkasten mit Untergestell und von Rädern aufgelistet; selbstverständlich auch das Datum, an dem die Wagen nach der Prüfung in den Wagenpark aufgenommen worden sind. Es stellte sich heraus, dass das Untersuchungs- bzw. Erstrevisionsjahr oft von den in den amtlichen Verzeichnissen angegebenen Herstellungsjahr abweicht. Dabei sind die Prüfungen immer sehr schnell nach Anlieferung der Wagen erfolgt und damit sehr kurz nach der Herstellung der Wagen. Die Fehler müssen einen anderen, nicht erkennbaren Grund haben. Das Fehlerpotenzial lässt sich ohne große Erfahrung an einem anderen Beispiel, nämlich an den ersten Staatsbahnwagen feststellen, die bei der Eröffnungsfeier einsatzfähig waren oder bald danach fertig gestellt worden sind – bis mindestens zur Bahnnummer 50. Jenes Ereignis fand 1844 statt; alle Verzeichnisse nennen aber für dieses Rollmaterial 1845 als Herstellungsjahr. Man kann sogar unterschiedliche Angaben zum Herstellungsjahr ein und desselben Wagens in zwei aufeinander folgenden Auflagen der Verzeichnisse finden.

Leider fehlen die Zertifikate des ersten Jahres größtenteils. Zwar sind die Wagen auch in den Zahlungsanweisungen für die Staatskasse aufgeführt worden, aber anfangs ohne die vergebenen Nummern; hier war der Eisenbahn Archäologie vorerst ein Ende gesetzt.

BWagennummer 20269ei der arbeitsintensiven Beschäftigung mit den Nummern ist aber in Verbindung mit einer Erweiterung der Kenntnisse über das Betriebsleben von so manchem Wagen ein buntes Bild mit einen wechselnden Lebenslauf entstanden. Aus diesem Grunde ist der Verfasser bestrebt alte Nummern auszugraben und seine Wagenmodelle mit deren ursprünglichen Zahlenkennung zu versehen.



Quellennachweise

1


VAM 30189, 03.01.1845

4


VAM 4140, 10.11.1846

7


VAM 1028, 05.12.1871

2


VAM 30189, 25.09.1844

5


VAM 30030, 19.09.1847




3


VAM 6052, 27.09.1845

6


VAM 30199, 02.05.1851