Lange Zeit, nämlich bis 19352, war das erste Signal im Signalbuch ein Läutesignal: „Der Zug geht in der Richtung von A nach B ab“ - Abmeldesignal - einmal fünf Glockenschläge. Läutesignale standen deshalb an erster Stelle, weil sie damals als die wichtigsten Signale galten, denn mit ihnen wurde die Sicherheit an den Bahnübergängen hergestellt. Bahnübergänge zählten zu den neuralgischsten Punkten der alten Eisenbahnen. Daneben fanden noch Fahnen, Laternen, Horn und Trompete Verwendung. Allesamt Signale, die – bis auf die Laternen – eine geringe Reichweite haben. So mußte der Empfänger in Sicht- und Hörreichweite sein. Auch die in 1850 eingeführten Semaphore, waren nur bei gutem Wetter weit zu sehen, bei Nebel konnten auch die aufziehbaren Lichter wenig helfen. Es gab zwar auch hier Erfindungen wie das Treutler'sche Signal mit spiegelnden Signalflügeln, die durch eine Lampe beleuchtet wurden, sie wurden aber nicht flächendeckend eingeführt.
Um die Sicherheit auf den Strecken zu erhöhen hatte bereits 1842 Dr. Carl August Steinheil auf dem Teilstück Olching – Maisach der privaten München-Augsburger-Eisenbahn eine Einrichtung, bestehend aus in den Boden versenketer Metallplatten, oberirdisch angeordneter Kupfer-Drahtleitung und mit Daniell'scher Batterie erzeugenden Erdstromes, für telegraphische Zwecke erfolgreich geprüft2.f. Steinheil war bereits bekannt für seine wegweisenden Erfindungen, stammten vom Ihm u.a. der allererste elektromagnetische Schreibtelegraph (1837), später kam noch die Blitzplatte (1846) hinzu, die in allen späteren Läutewerken Anwendung fanden.
Der Leitungsanfang war ein zusammengerolltes Kupferblech, welches im Münchner Bahnhofsbrunnen und das Leitungsende eine Zinkplatte die im Maisachfluß versenkt wurde. Der Kupferdraht wurde oberirdisch geführt (ob auf Masten angebracht wie wir es heute kennen, ist dem Text von Marggraff nicht zu entnehmen[JR]). In die Leitung waren 6 Stromunterbrechungskontakte auf den 6 Stationen und weitere 42 Kontakte bei den Bahnwärterhäusern eingeschaltet.
Die einzige Kontrollstation bestand im Münchener Bahnhof. Sie bestand aus einem Elektromagneten, der an eine Glocke schlug und gleichzeitig aus einem Stift, der auf einer in Minuten eingeteilten Pappscheibe mit Tusche einen Punkt schrieb, wenn der Wärter beim passieren eines Zuges den Stromfluß unterbrach. Zudem mußen die Stationsbeamten den Kontakt während des Anhaltens des Zuges öffnen, wobei der Schreibappart in München solange einen Strich malte. Fehlte ein Punkt, so war der betreffende Wärter nicht auf seinem Posten. Auf diese Art und Weise konnte der Steinheilsche Apparat die Anwesenheit des Personal kontrollieren, die Aufenthaltsdauer des Zuges an den Stationen, den Aufenthaltsort, sowie die Geschwindigkeit des Zuges bestimmen. Zudem konnten die Zugführer an den Wärterhäusern und Stationen durch Stromunterbrechungen der Leitung bei Unfällen an die Hauptstation München telegraphisch Mitteilung machen.
Steinheil erfand dafür ein Alphabet aus Einfachschlag und Doppelschlag. Jedoch erschien diese Art des "Depeschierens" den den Bahnbeamten zu mühselig (das Morsealphabet war noch nicht erfunden). Tatsächlich wurde dieser erste Bahntelegraph in Deutchland nur einmal für eine längere Nachricht genutzt, anläßlich der Rückreise König Ludwigs I. aus Nannhofen „Extrazug Sr. Majestät des Königs hier, geht sofot ab“. Das war die allererste amtliche Depesche, die in Bayern mittelst des Telegraphen übermittelt wurde.
Die Unvollkommenheit der Leitung, die häufige Entwendung langer Stücke der Kupferleitungen, Stöhrungen durch Blitze (die die Erfindung der Blitzplatten brachte) führten dazu, dass der Apparat häufig nicht in Ordnung war. Nach über einem Jahr in Betrieb fiel 1847 der Kontrollapparat wie auch das gesammte Einstiegsgebäude des Münchener Bahnhofes einem verherenden Brand zum Opfer. Es wurde nicht wieder erneuert. Das besiegelte für längere Zeit das Ende der elektrischen Signalisierung eines Zuges entlang der Bahn in Bayern. Jedoch wurde die Depeschen-Telegraphie von Station zu Station in Bayern bereits 1849 mit der feierliche Eröffnung der Staatstelegraphenlinie München – Salzburg wieder eingeführt, mit Morseappart für die Staatsleitungen und für die Bahnleitungen Stöhrer's Induktions-Zeigerappart.
Schon 1845 hatte Werner von Siemens bereits den von August Ephraim Kramer (Nordhausen) erfundenen Zeigertelegraph verbessert. Obwohl technisch überlegen, ihn konnte ein Laie bedienen mit einer im Kreis angeordneten Buchstabentastatur, konnte man ihn allerdings nur ablesen. Der empfangenen Text konnte nicht automatisch auf Papier dokumentiert werden um als Beweissicherung zu dienen, deshalb scheiterte daran sein breiter Einsatz. Erst als der bekannte Morse'sche Telegraphieaparat erfunden wurde, primitiv dagegen, der nur mit langen und kurzen Impulsen seine Daten übertrug, die man automatisch auf einem Papierstreifen schreiben konnte und zusätzlich das Morsealphabet als Datenformat allgemein akzptiert wurde (es war u.a. ein „S“ Alphabet in Diskussion), nahm es seinen Siegeszug durch die Bahnverwaltungen. Die Wärter auf den Strecken allerdings wurden nicht dabei berücksichtigt, sondern mußten sich auf die Signalisierung mittelst der Semaphoren verlassen.
Bei den anderen Bahnverwaltungen war es ähnlich, die Wärter konnten an der Telegraphie nicht teilhaben, jedoch mit der sehr frühen Einführung des elektromechanischen Läutewerks konnten dort nun auch Schrankenposten und Wärterposten an den Signalen von der Ankunft eines Zuges unabhängig vom Wetter und von der Tageszeit benachrichtigt werden. Jeder Wärter musste in den Zugpausen seinen Abschnitt durch Begehung auf Befahrbarkeit kontrollieren. So konnte dem angekündigten Zug bei Gefahr durch Aufstellen von Flaggen bei Tage oder Entgegenhalten von Laternen bei Dunkelheit Signal gegeben werden (Beitrag: „die Signale aller deutscher Länderbahnen und Österreich“ in Vorbereitung).
Erst ab 1874 wurden in Bayern der Aufbau der Läutewerke bei den Bahnwärtern flächendeckend begonnen, die Semaphoren, die bis dahin die Zugankunft weitergegeben haben, wurden abgebaut. Bis 1886 waren die elektrische Läutewerke bei allen Stationen eingeführt.
Es gab drei Ausführungen:
Die Läutebude stand bei den Bahn- und Schrankenwärterposten, bei den Blockstellen, bei den Posten der Handweichensteller und bei den Stellwerken - manchmal auch allein auf freier Strecke als „isolierte Läutebude“ zur Unterrichtung der Streckenarbeiter. Sie war aufgebaut aus einem zylindrischen Gehäuse mit einer Höhe von etwa 2m und einem Durchmesser von etwa 60cm und war dunkelgrün gestrichen. Eine gusseiserne hohle Säule trug unter einem runden Schutzdach gußeiserne Glockenschalen, die von Hämmern angeschlagen wurden. Das Schutzdach, an dem die Hämmer hingen, krönte eine gusseiserne Spitze, Urne genannt. Nur die Bude selbst war dunkelgrün, der unten sitzende Bodenring und alle Teile vom oberen Kranzring an aufwärts sowie der Türrahmen waren schwarz gestrichen. Innen befand sich das Laufwerk, das von einem schweren Gewicht angetrieben und von Windflügeln als Bremse im gleichmäßigen Gang gehalten wurde, es steuerte die Anschlaghämmer. Die elektrische Läutewerksleitung war über zwei Porzellanisolatoren angeschlossen, der elektrische Impuls löste durch einen Elektromagneten die mechanische Sperre des Laufwerks aus; gleichzeitig erschien ein sichtbares Zeichen: die runde, weiß/rote Fallscheibe (ab 1905 weiß mit [bayerisch-] blauem Querbalken) fiel aus der senkrechten Stellung in die horizontale. Das war nur in Bayern so, bei allen anderen Bahnen war die Ruhestellung waagerecht und die Warnstellung senkrecht! War der Wärter bei Eingang eines Läutesignals gerade mit der Streckenrevision beschäftigt, also abwesend, zeigte ihm die in die Warnlage gekippte Fallscheibe bei seiner Rückkehr an, dass – aber nicht wie oft – abgeläutet worden war. Liefen an einem Posten mehrere Strecken vorbei, besaß jede Strecke ein dazugehöriges Läutewerk. Zur Unterscheidung für den Wärter gab es mehrere Möglichkeiten: die Anzahl der Glocken oder die Art der Klangausführung (Klangbild). Technisch möglich waren Läutewerke mit einer Glocke, mit zwei oder mit drei Glocken. Das Klangbild unterschied bei zweiglockigen Läutewerken einen gleichmäßigen (bim-bam-bim-bam) oder einen hinkenden (bim-bam----bim-bam----bim-bam) Anschlag der beiden Glocken nacheinander oder einen gleichzeitigen Anschlag beider Glocken. Außerdem konnte die Reihenfolge des Anschlages umgekehrt sein (bam-bim-bam-bim). Bei dreiglockigen Läutewerken gab es dem entsprechend noch wesentlich mehr Klangbilder. Das weithin vernehmbare Geläute der zwei- oder gar dreiglockigen Streckenläutewerke war ausgesprochen melodisch, es erinnert an kleine Kirchenglocken.3 Im Bereich Multimedia können Sie authentisches Geläut herunterladen.4
Die Glockenschalen am Perronläutewerk dagegen erzeugten einen mehr scheppernden Klang, deshalb sagte man: „er hat schon abgeschellt“. Das Perronläutewerk war ein kleiner schwarzer Kasten, der außen an der Wand des Stationsgebäudes angebracht war. Wie bei der Läutebude war das Laufwerk durch ein Gewicht angetrieben, nur hier hing es aus dem Gehäuse heraus (Bild). Die Fallscheibe bewegte sich hinter einem kreisrunden Ausschnitt des Gehäuses, in Grundstellung war sie schwarz, wenn abgeschellt worden war dagegen weiß. Auch beim Perronläutewerk hatte man Einfachklang, Doppelklang und Dreifachklang.
Die Turmläutewerke waren klein, sie hatten nur eine Glockenschale, allerdings je mit verschiedenen Durchmessern, so daß auch verschiedenen Tonhöhen produziert wurden und als Schauzeichen eine rot-weiße Zitterscheibe an einer Blattfeder, die nach dem Abläuten noch eine Zeit lang hin und her wedelte. Das Gewicht war über eine Schraubenfeder an die Kette gehängt, so daß es noch etwa eine Minute lang in schwankender Bewegung blieb, auch wenn das Läutesignal schon verklungen war. Das zitternde Gewicht entsprach der Fallscheibe, zeigte also dem zwischenzeitlich abwesend gewesenen oder durch andere Tätigkeiten von der Beobachtung der Läutewerke abgelenkten Wärter nachträglich an, dass abgeläutet worden war. Das Laufwerk war völlig abweichend von dem in der Läutebude.
Die Stellwerke hatten Läutebuden unten am Gebäude und Turmläutewerke im Stellwerksraum: die Läutebuden für die Streckenabschnitte ihrer eigenen Bahnhofseite, die Turmläutewerke für die Streckenabschnitte der anderen Bahnhofsseite.
Nachdem der Zug an der Läutebude vorbei war, oder am Perron angekommen oder abgefahren war, mußten die Fallscheiben wieder zurückgestellt gestellt werden. Die Wärter und Schrankenwärter bei ihren Mantelbuden sowie der Fahrdienstleiter haben sie per Hand umgestellt. Damit Stellwerker nicht jedesmal von ihren Weichentürmen heruntersteigen mußten um die Läutebude zurückzustellen, bohrten sie ein Loch in die Fallscheibe, befestigten einen Draht daran, den sie nahe an ein Fenster des Weichenturm hochzogen und befestigten. Dann konnte ohne Heruntersteigen die Fallscheibe wieder waagerecht gezogen werden.
Alle Läutewerke mußten mindestens zweimal am Tage aufgezogen werden, bei starkem Verkehr nach Bedarf häufiger. Auch bei Gewitter ist laut Verordnung das Läutewerk neu aufzuziehen, was dafür spricht, daß es bei Gewitter gelegentlich auslöste.
Zur Signalisierung des Zuges reichten 4 Läutesignale, plus ein Außerordentliches. Das Läutesignal 1 und 2 unterschied, aus welcher Richtung ein Zug kommt, alle Züge, die sich von München entfernten, wurden „von A nach B“ abgeläutet, alle Züge, die sich auf München zu bewegten, wurden „von B nach A“ abgeläutet. Dabei ist es unwesentlich, ob der Zug wirklich nach München fuhr, es reichte, würde der Zug weiterfahren, ob er in München ankäme oder sich entfernte [Anmerkung: die folgenden Numerierungen entspricht der Ausführungsbestimmungdes Signalbuchs]:
Zu den Läutesignalen allgemein:
7. Bei den aus mehreren Gruppen von Glockenschlägen bestehenden Läutesignalen (Signal 2, 3 und 4) ist zwischen den einzelnen Gruppen eine Pause von etwa 5 Sekunden zu machen.
8. wegen der Berechtigung zur Abgabe der Läutesignale vgl. FV. § 17 (1).
Zu den Signalen 1 und 2:
9. was die Richtung von A nach B und die Richtung von B nach A zu gelten hat, ist aus Anlage 16 zu entnehmen.
10. Die Abläutesignale werden vor der Abfahrt oder der Mutmaßlichen Durchfahrt eines Zuges und, wenn nichts anderes vorgeschrieben ist, nicht früher als 3 Minuten vorher gegeben (FV § 17 (3) und (4), § 24 (11))7
11. Ist ein Zug 15 Minuten nach dem Abläuten nicht abgefahren, so wird das Abläutesignal vor der Abfahrt wiederholt (16b und FV. § 17 (5)). Wegen der vorausgehenden Abgabe des Ruhesignals (Signal 3) vgl. 16b.
12. Züge, die nur einen Teil der Strecke zwischen zwei Zugmeldestellen befahren und sodann – auf dem selben Gleise – zurückkehren, werden nur dann abgeläutet, wenn für die Teilstrecke besondere Läutevorrichtungen vorhanden sind.
13. Die Schrankenwärter dürfen sich bezüglich des Abgangs der Züge nicht auf die Abläutesignale allein verlassen, mussen sich vielmehr bereit halten, den Dienst nach Maßgabe der Fahrpläne zu versehen.
14. Wenn das Abläutesignal für einen Zug ausbleibt, oder wenn für einen Zug ein unrichtiges Läutesignal erteilt wird, ist dies vom Wärter mit Meldezettel dem Bahnmeister anzuzeigen. Wegen des Aufhaltens von Zügen beim Ertönen unrichtiger Abläutesignale vgl. 29c und f.
Zu Signal 3:
15. Signal 3 wird in seiner ersten Bedeutung auf Bahnstrecken, wo kein ununterbrochenenr Dienst besteht, nach dem Eintreffen des letzten regelmäßig verkehrenden oder Sonderzuges in der der Fahrtrichtung entgegengesetzten Richtung gegeben. Dadurch wird angezeigt, daß der Zugdienst von dem in FV § 8 (882) näher bezeichneten Zeitpunkt ab ruht.
16. In seiner zweiten Bedeutung dient Signal 3 zur Zurücknahme eines Abläutesignals (Signal 1 oder 2) und wird, falls die Schrankenwärter nicht durch Fernsprecher8 verständigt werden, angewendet:
Bei Zintl heißt es noch zudem: „Das akustische Ruhesignal wird nach Anordnung des Oberbahnamtes auf denjenigen Strecken, auf welchen Nachtdienst nicht bereitsteht gegeben, sobald der letzte Zug, welcher eine etwa nöthige Hilfsmaschiene von einer rückwärts gelegenen Station zu erhalten hat, den betreffenden Hilfsmaschienenbezirk verläßt oder innerhalb desselben ein Ziel erreicht hat; hat der Zug eine etwa nöthige Hilfsmaschine von einer vorwärts liegenden Station zu erhalten, so wird das Ruhesignal von Station zu Station für jede durchfahrenden Strecke gegeben.“
Zu Signal 4.
17. Das Signal zeigt an, daß etwas Außergewöhnliches bevorsteht, daß den Zügen eine Gefahr droht.
18. Wenn das Signal ertönt, sind alle Züge an- oder zurückzuhalten und die Wegschranken zu schließen.
Zintl führt an: „Beim Ertönen des Gefahrsignals haben die Wärter jeden Zug anzuhalten und das Zugpersonal von der erfolgten Abgabe des Gefahrsignals zu verständigen. Der Zugführer - bei einzelnen Lokomotiven der Lokomotivführer - hat hierauf je nach Umständen zu bestimmen, ob der Zug stehen bleiben oder weiter fahren soll. Im letzteren Falle darf nur ganz langsam und unter gespanntester Aufmerksamkeit des Zugspersonals weiter gefahren werden“
19. Das Signal darf nicht gegeben werden, wenn die Gefahr durch das Stellen der Züge vergrößert würde, also z.B. nicht, wenn bei der Fahrt auf fallender Strecke eine Zugtrennung stattgefunden hat.
20. Das Ertönen eines Abläutesignals gilt als Zurücknahme eines Gefahrsignals. Auf zweigleisiger Strecke wird durch ein Abläutesignal das Gefahrsignal nur für die Fahrtrichtung zurückgenommen, der das Abläutesignal entspricht.
Obwohl das elektrische Läutewerk einen großen Fortschritt bedeutete, so hatte es zunächst einen Mangel: seine Signale waren nur einseitig gerichtet, gesendet wurden sie vom Fahrdienstleiter, der den Zug auf die Strecke schickte; die Empfänger waren die Bahnwärter, die Schrankenwärter, die Weichenwärter und der Nachbar- Fahrdienstleiter. Zum Sender zurück von der Strecke aus konnten keine Signale gegeben werden. Dieser Mangel wurde durch den Oberingenieur Frischen von der Firma Siemens & Halske behoben. Er veranlaßte 1877 die Ergänzung der Läutewerke bei den Bahnwärtern durch den Automatischen Zeichengeber. Dieser war im Inneren der Läutebude eingebaut. Er arbeitete mit runden Zeichencheiben, die durch den Antrieb des Läutewerks in Bewegung gesetzt wurden. Die Scheiben hatten Einkerbungen. Ein kontaktgebender Hebel schleifte über den Scheibenumfang und sandte beim Umlauf kurze und lange Impulse in die Morsetelegrapehleitungen, welche seit 1855 zwischen den Stationen bestanden. Vorgehalten wurden fünf verschiedene Zeichenscheiben mit folgenden Signalen:
Ein weiteres Morsezeichen benannte den Wärterposten, von dem das Notsignal ausging. Es wurde eingeleitet und abgeschlossen durch viermal fünf Glockenschläge des Läutewerks.
Bei einer Ausstellung im VAN konnte zur Erläuterung zu den Zeichenscheiben (Bild oben) gelesen werden:
„Zeichenscheiben dienten zur akustischen Übermittlung von Sondersignalen entlang der Eisenbahn. Akustische Signale erwiesen sich als sicherer als die zunächst gebräulichen optischen Signale. Bereits 184610 kamen daher die ersten Läutebuden zum Einsatz; 20 Jahre später waren in Deutschland schon über 800 von ihnen in Betrieb.
Mit Läutebuden konnten entlang der Strecke Meldung zum Zuglauf an die Bahnwärter übermittelt werden. So wußten diese dann zum Beispiel, wann die Schranken zu schließen waren. Im Notfall konnten aber mit den Läutebuden Nachrichten an den nächstgelegenen Bahnhof übermittelt werden. Dazu dienten die Zeichenscheiben der Läutewerke. Sie waren in der Läutebude verschlossen. Die Schlüssel dazu befanden sich beim Bahnwärter – aus Sicherheitsgründen – in einem versiegelten Umschlag. Blieb etwa ein Zug mit Maschinenschaden liegen, lief der Oberconducteur (heute Zugchef) zum nächstgelgegenen Bahnwärterhäuschen. Dort ließ er sich vom Bahnwärter den Umschlag übergeben, entnahm den Schlüssel, setzte die Zeichenscheibe 1 (Hilfsmaschine) in das Läutewerk der Läutebude ein und löste das Läutewerk aus. Dabei entstand eine Signalfolge, welche im nächsten Bahnhof empfangen werden konnte. Die spezielle Kombination von langen und kurzen Signalen machte klar, daß eine Hilfsmaschine angefordert wurde. Die Ersatzlokomotive wurde in Gang gesetzt.“
Es gab mehrere Bauarten. Grundsätzlich aber waren auf dem Umfang der Zeichenscheibe stets zunächst die Postennummer und danach das spezielle Signal durch verschieden lange Erhöhungen codiert aufgebracht, um den Aufgabeort des Hilfssignals erkennen zu können. Die vom VAN beschrieben war so, dass an der Vorderwand des Triebwerkes eine Aufnahmescheibe mit einem mittigen und einem außermittigen Dorn angebracht war, die von der Zwischenradwelle angetrieben wurde (siehe Lochung in Abb. „Zeichenscheiben für die 5 Sondersignale“ oben). Die Signalscheibe wurde so auf den mittigen Dorn gesteckt, dass der zweite Dorn durch die Mitnahmebohrung ragte und so die Scheibe mitdrehen konnte. Die vorrätigen Signalscheiben hingen in der Regel auf Haken vorn am Aufsatzbrett, auf dem das Triebwerk stand. Entsprechend dem jeweiligen Anlass wurde die zutreffende Signalscheibe entnommen und aufgesteckt. Eine andere Bauform (siehe Skizze abb. „Automatischer Zeichengeber“) war so ausgeführt, dass im Läutewerk schon alle Scheiben neben einander im Triebwerk fest eingebaut wurden. Der Kontakthebel wurde durch den jeweils eingesteckten Schlüssel (es gab so viele Schlüssel, wie es im Triebwerk Zeichenscheiben gab) auf die zutreffende Scheibe geführt. Alle Schlüssel hatten die gleiche Bartform, damit sie durch das Schlüsselloch passten, aber einen nach vorn verschieden langen Schaft. In der Skizze ist der Schaft vorn entsprechend abgestuft gestrichelt gezeichnet.
Als um die Jahrhundertwende 1900 das Streckentelefon allgemein eingeführt wurde, konnten endlich auch die Bahnwärter direkt und unverschlüsselt mit den Nachbarstationen verhandeln, die Automatischen Zeichengeber wurden überflüssig und bis 1910 allenthalben außer Betrieb genommen. Das Läutewerk aber war noch bis etwa 1960 das wichtigste Mittel zur Unterrichtung der Schrankenwärter über den Zugverkehr; von seinem Funktionieren hing die Sicherheit an den Bahnübergängen entscheidend ab. Und selbst heute noch werden Läutesignal verwendet, als Rufzeichen am Streckenfernsprecher vor einer Zugmeldung. Das Geläut ist auf manchen bayerischen Stationen an außen angebrachten elektromechanischen „Schellen“ noch zu vernehmen.
Hr. Wolfgang List überprüfte mein Manuskrip auf fachliche Korrektheit und stellte mir sein Fachwissen zur Verfügung. Manches ist in der Literatur unklar beschrieben, seine langjährige und intensive Beschäftigung mit dem Thema sowie seine umfangreiche Sammlung von echten Läutewerken ermöglichte es ihm, mir aus eigener Anschauung behilflich zu sein. Dadurch wurde der Beitrag abgerundet. Ein herzliches Dankeschön dafür.
Robert Zintl: „Fahrt Frei“, Bayerische Signale und Stellwerke; Motorbuch Verlag Stuttgart
Blum, Barkhausen & von Borries: Die Eisenbahn-Technik der Gegenwart, Jahrgang 1904, C. W. Kreidel's Verlag Wiesbaden
Kgl. Bayer. Staatsbahnen: „Signalbuch“ Gültig vom 1. August 1907, nachbearbeitet und gedruckt von Andreas Lange
Fußnoten:
1: Obwohl in der Literatur von „Elektrischen Läutewerken“ gesprochen wird, sind sie fachlich korrekt „Elektromechanische Läutewerke“. Die betrachteten Läutewerke hatten einen rein mechanischen Gewichtsantrieb, der lediglich auf elektrischem Wege fernausgelöst wurde. Bei elektrischen Läutewerken muss auch der Klang elektrisch erzeugt werden, z. B. bei einer Klingel durch den vom Elektromagnet angezogenen Anker samt Klöppel |
2: Laut Zintl: Fahrt frei, Seite 128 |
2.f:Hugo Marggraff, die königlich bayerischen Staatsbahnen, Kapitel: "Der Eisenbahnbetrieb;1. Signal- und Bahntelegraphenwesen" |
3: Zitat W. List: „Glockenanzahl: Bei allen Räderläutewerken (u. a. in der Mantelbude) konnten eine Glocke, zwei oder gar drei Glocken angeschlagen werden. In Bayern gab es m. W. nur in Ausnahmefällen Läutewerke mit einer Glocke oder mit drei Glocken. In Preußen wie in ganz Deutschland – außer Bayern – wurden meist einglockige Werke verwendet – die waren am billigsten und reichten ja auch normalerweise vollkommen aus. Zur Unterscheidung der verschiedenen Strecken wurde mit dem Klangbild (Einsatz unterschiedlicher Glockenzahlen, unterschiedlicher Schläge pro Gruppe[!], die Reihenfolge des Anschlagens der Glocken und den Schlag-Rhythmus [gleichmäßiger oder hinkender Schlag]) eine Vielzahl von Varianten erreicht.“ |
4: das Geläutemuster wurde von Wolfgang List www.altmarkschiene.de zur Verfügung gestellt. Herzlichen Dank dafür. Auf seiner Homepage findet man neben der ausführlichen Beschreibung seiner 20 betriebsfähigen elektromechanischen Läutewerke weitere Geläutemuster von Läutewerke seiner Sammlung. Für die verschiedenen Länderbahn-Läutesignale habe ich die Muster zu Gruppen zusammen geschnitten. |
5: Zur Unterscheidung von anderen Glockenklängen (Kirchen-, Schul-, Feuerglocken usw.) verlangte die einheitliche deutsche Signalordnung von 1875, dass Eisenbahnläutewerke Gruppen zu fünf oder sechs Schlägen abläuteten. Es gab demzufolge in ganz Deutschland Läutewerke, deren Triebwerke nach jeder Auslösung entweder fünf oder sechs Schläge auf eine Glocke, zwei oder drei Glocken erzeugten. In Preußen z.B. wurde je Gruppe fünf- oder sechsmal geläutet (abhängig vom gewünschten Klangbild am Einsatzort) anstatt stets fünfmal wie in Bayern. Demzufolge kam es durchaus vor, dass neben einem Läutewerk mit fünf Schlägen pro Gruppe ein weiteres mit sechs Schlägen pro Gruppe stand. |
6: Anlage 1 listet auf für welche Strecken die Richtung A nach B vorgeschrieben ist |
7: leider liegt die Verordnung nicht vor, um daraus zu zitieren |
8: vor 1900 hatten Schrankenwärter und Bahnwärter noch kein Telefon |
9: Im Laufe der Jahre wurden verschiedene Signal-Inhalte verwendet. Im VAN existiert auch die nachfolgend dargestellte Leiste mit den fünf Scheiben, die alle aus einem Läutewerk stammen (geht eindeutig aus der Codierung der Scheiben hervor). Die Farbgebung der Scheiben fällt auf: zwei rote (3 und 5) betreffen die Sicherheit des Zugbetriebes (Warnsignal), die drei anderen (1, 2, und 4) betreffen die Anforderung einer Hilfslok. |
10: Obwohl in Bayern durch Steinheil bereits 1842 erstmals kurz nach Eröffnung der München-Augsburger-Bahn Wärter das Passieren des Zuges elektisch weitergeleitet haben, wurde die Signalisierung per Läutewerk erst 1874 flächendeckend eingeführt |