Eisenbahn Zeitung


Eisenbahn-Zeitung IV. Jahr, Stuttgart 1846. 13. November. Nro 46.


Bayerische Eisenbahnen1.

Für den Betrieb der bayerischen Staatsbahnen sind neuerdings 22 Lokomotiven in Bestellung gegeben worden und zwar auf den Grund eines Programmes und Bedingnißheftes2, die wir mitzutheilen in der Lage sind.

I.

Programm zur Herstellung von Lokomotiven für die königl. Bayerische Ludwig-Süd-Nord-Eisenbahn

Die für die obengenannte Bahn zu fertigenden Lokomotiven müssen im Ganzen und in den einzelnen Theilen nachstehenden Bedingungen entsprechen:

§.1.

Von der Konstruktion im Allgemeinen. Die Maschinen werden nach dem System der während der Fahrt beliebig veränderlichen Expansion3 erbaut, erhalten drei unwandelbare parallele Achsen mit 6 Rädern, innenliegenden Rahmen, außer der Rauchbüchse liegende Zylinder, veränderliches Blasrohr und sonstige Einrichtungen, wie sie unter näher werden beschrieben werden.

Die zu liefernden Lokomotiven zerfallen bezüglich ihrer Dimensionen in drei Klassen A, B, und C4.

§. 2.

Von den Kesseln. Zu den Kesseln nebst Siederöhren ist das beste Eisenblech zu nehmen, der Feuerkasten hat dagegen aus Kupfer zu bestehen.

Alle Materialien müssen von solcher Stärke genommen und so vollkommen gut zusammengesetzt wer daß bei einem darin angebrachten kalten Wasserdruck von zwölf Atmosphären kein Bauch, keine Verletzung und keine Ausbiegung der Bleche von mehr als 6 Millimeter oder 2 bayerische Dezimalien entsteht.

Diese Prüfung muß unnachsichtlich bei jedem Kessel vorgenommen und darüber ein amtliches Zeugnis beigebracht werden.

Der Aschenkasten soll an den Langseiten dicht und solid verschlossen und der Boden desselben mit einer Jalousie-Vorrichtung zum Auswerfen der Asche währen der Fahrt versehen seyn.

An der Vorderseite ist eine gut schließende Klappe anzubringen, welche von dem Führer beliebig geöffnet und geschlossen werden kann. An der Rückseite genügt eine kleine verschließ­bare Thür.

Außer dem Wasserglas müssen drei Probierhahnen angebracht werden.

Der Kessel ist mit zwei Sicherheits-Ventilen zu versehen, welche mit Federwagen zu verbinden sind.

Zur Messung des Dampfdruckes soll ein Kolben-Monometer angebracht werden. Die Die Dampfkuppel ist über den Feuerkasten zu legen.

Die Höhe des Kamins über den Schienen darf nicht über 14 ½ Fuß bayerisch betragen.

Die Kamine werden theils für Steinkohle eingerichtet, theils mit Vorrichtungen gegen das Funkenauswerfen versehen.

Die vorderen Röhren-Öffnungen in der Rauchkammer müssen durch eine Jalousie-Vorrichtung dicht verschlossen werden können.

Auf der Rauchkammer ist ein Schieber zum Einlassen kalter Luft anzubringen, welcher von Standort des Führers aus manövriert werden kann.

Das Blasrohr im Kamin muß so eingerichtet werden, daß dessen Öffnungsfläche, eine Kreisfläche von 2 ½ und 5 bis 5 ½ engl. Zoll Durchmesser, je nach der Klasse der Maschine entsprechend, durch den Lokomotiveführer während der Fahrt beliebig verändert werden kann.

Die Wasserpumpen sind ausserhalb des Rahmens anzubringen, damit man sowohl zu den Pumpen selbst, aus auch zu den mit einfachen Bügeln zu verschließenden Ventilen leicht zukommen kann.

Der Regulator, welcher aus einem Schieber zu bestehen hat, ist zwischen die Zylinder in der Rauchkammer zu legen und so einzurichten, daß der Dampfeintritt in dem einen oder andern Zylinder nach belieben abgesperrt werden kann.

Die Kessel müssen auf jeder Seite mit einem Hahnen nebst Verbindungsrohr zum Erwärmen des Wassers in dem Tender versehen seyn.

Die Kesselfläche wird bestimmt für die Maschinen der Klasse A 48 Quadratfuß Feuerkasten, 715 Q. Fuß Röhrenfläche, vertheilt auf 135 Röhren von 12 ½ Fuß Länge und 1 5/8 Zoll Durchmesser engl. Maaß. Klasse B und C 60 Q. Fuß Feuerkasten und 798 Q. Fuß Röhrenfläche verteilt auf 150 Röhren derselben Dimensionen wie bei der Klasse A.

Die Maschinen der Klasse C müssen über dem Kessel einen Wasserbehälter von 60 Kubikfuß Rauminhalt erhalten, welcher mit dem Saugrohre durch eine Röhre so verbunden ist, daß durch Absperren eines am Saugrohre angebrachten Hahnens die Kommunikazion zwischen dem Kessel und dem oben auf liegenden Wasserbehälter hergestellt werden kann.

§. 3.

Von den Zylindern und der Steuerung. Das Material zu den Zylindern muß bester Eisenguß, das zu den Kolbenstangen und den Dampfschieberstangen dagegen Gußstahl seyn.

Bei den Maschinen der Kasse A sollen die Zylinder eine Durchmesser von 12 ½ Zoll engl. Bei 22 Zoll Kolbenhub bekommen. Klasse B einen Durchmesser von 15 Zoll engl. Bei 24 Zoll Kolbenhub. Klasse C einen Durchmesser von 16 Zoll engl. Bei 24 Zoll Kolbenhub.

Die Zylinder werden außerhalb der Rauchbüchse am Rahmen in horizontaler Lage angebracht.

Jeder Zylinder enthält zwei Wasserentleerungs-Hähne mit horizontal nach vorn gerichteten Öffnungen.

Die Steuerung muß nach der während der Fahrt beliebig verstellbaren Expansion nach der neuesten Einrichtung von Stephenson vorgerichtet werden, wobei die Exzentriques direkt ohne Zwischenhebel auf die Dampfschieber wirken.

§. 4.

Von den Rädern. Die Räder erhalten die neueste Konstrukzion von Stephenson mit schmiedeeisernen Speichen von Eckeisen und geschmiedeten Radkränzen.

Die mittleren Räder sollen einen schwachen, mehr Spielraum gestattenden Spurkranz erhalten.

Sämmtliche 3 Achsen kommen zwischen die Rauch- und Feuerbüchse zu stehen; und es darf der größte Abstand der Vorder- von der Hinterachse nicht mehr als 10 Fuß engl. Betragen.

Sollte sich bei der Zeichnung der Maschine deshalb ein Anstand ergeben, so wird weitere Verständigung vorbehalten.

An den Treibrädern muß das Gewicht des Krummzapfens und des entsprechenden Teils der Kurbelstange sorgfältig ausgeglichen werden.

Die Lager der Radachsen sind mit einer Metallkomposizion von Kupfer, Zinn und Antimon auszugießen, was auch bei alle anderen Lagern der Maschine zu geschehen hat.

Die Triebräder der Maschine Klasse A erhalten einen Durchmesser von 5 fuß englisch, der Klasse B von 4 ½ Fuß englisch und der Klasse C von 3 1/3 Fuß englisch; die freilaufenden Räder der zwei ersten Klassen von 3 ½ Fuß englisch.

Bei der Klasse A dienen die Mittleren Räder als Triebräder, bei der Klasse B werden die vier hinteren und bei der Klasse C alle sechs Räder gekuppelt. Bei der letzteren Klasse muß ein Räderpaar mit einer wenigstens den dritten Theil des Radumfanges umfassenden Bremse versehen werden.

Ueber die Breite der Radkränze und deren Konus wird näher Verständigung vorbehalten.

§. 5.

Von den Rahmen. Der Ra der Lokomotive muß in entsprechender Stärke ganz aus Schmiedeeisen bestehen und mit einer bequemen Gallerie versehen seyn, damit man man während der Fahrt sicher um die ganze Maschine gehen kann.

Die Vertheilung der Last auf die Räder anbelangend, so ist die Einrichtung dergestalt zu treffen: Daß bei der Maschinenklasse A die auf den hinteren Rädern ruhende Last während des Fahrens im beliebigen Maaße auf die mittleren oder Triebräder zur Vermehrung der Adhäsion übertragen werden kann und daß bei der Klasse B und C die Belastung mittels Balancier auf vier Triebräder gleichförmig verteilt wird.

Am vorderen Theile des Rahmens müssen Sicherheitseisen angebracht werden, welche so eingerichtet sind, daß im Winter die Besen angeschraubt werden können.

Vor den Triebrädern ist eine weitere Vorkehrung zur Anbringung von Besen zu treffen, sowie auch eine Sandstreubüchse daselbst angebracht werden muß, um im Nothfalle die Adhäsion vermehren zu können.

§. 6.

Von den Vorkehrungen gegen den Wärmeverlust. Nicht nur der Zylindrische Theil des Kessels muß mit Holz überkleidet seyn, sondern auch die Dampfkuppel und der ganze Feuerkasten. Diese Holzüberkleidung ist überall mit einem dicken Filz von Kuhhaaren zu unterlegen, und muß am Feuerkasten unterhalb vom Gestelle an allen vier Seiten und in der ersten Hälfte unten am Zylindrischen Theile des Kessels wieder mit Blech bedeckt seyn. Ebenso müssen die Zylinder mit Filz, Holz und Blech überkleidet seyn.

§. 7.

Von der Verbindung mit dem Tender. Zwischen Tender und Maschine sin mit einer Feder versehene Buffer zu legen.

Die Wasserkupplung des Tenders und der Lokomotive muß nach dem Kugelsystem eingerichtet seyn, welches ein freies Einfahren des Verbindungsstückes gestattet und des Ausschraubens nicht bedarf. Die Verbindungsröhren müssen von Kupfer seyn.

Die Zugkupplung muß so eingerichtet werden, daß das Kuppelstück ohne gehalten zu werden, bei dem Zusammenfahren in seine Richtige Lage gelangt, um den Nagel sogleich einstecken zu können.

Endlich muß der Standort auf der Lokomotive mit dem auf dem Tender mit möglichst wenig Zwischenraum in einer Ebene liegen.

§. 8.

Von den Tendern. Die Tender werden vierrädrig und mit einem Wassergehalt von circa 160 Kubikfuß und mit einem Raum zur Aufnahmen von anderthalb Klafter Holz (circa 170 Kubikfuß englisch) solid aus bestem Eisen und Eisenblech gebaut.

Die Räder und Achsen müssen genau denen gleich seyn, die vorne an den Lokomotiven angebracht sind.

Auf dem Tender muß ein Werkzeugkasten, sowie der Raum für eine Winde passend ermittelt werden.

Die Bremsvorrichtungen sind so einzurichten, daß alle Räder ohne Ausnahme von zwei Seiten auf das Kräftigste gebremst werden können.

An dem Tender ist eine Feuerspritze anzubringen, welche mit einem Schlauch von 200 Fuß Länge versehen ist und dem außer dem Mundstück zum Spritzen ein in die Saugrohrmündung passendes Mundstück beigegeben werden muß.

Die Kuppelung des Tenders mit dem Wagenzug muß so eingerichtet werden, daß dieselbe von dem Standort des Lokomotiveführers aus leicht und schnell auslösbar ist.

Ferner hat der Tender eine Läute-Vorrichtung zu erhalten, welche von dem Wagenzug aus vermittels einer Schnur in Thätigkeit gesetzt werden kann.

§. 9.

Von dem Anstrich der Lokomotiven und Tender. Maschinen und Tender müssen reinlich und dauerhaft mit dunkelgrüner Farbe und Schwarzer Einlassung lackiert werden.

Jede Maschinen erhält auf jeder Seite einen in Messingbuchstaben dargestellten Namen und auf dem Kamin die laufende Nummer, welche auch hinten am Tender anzubringen ist.

§. 10.

Von der Uebereinstimmung in der Bauart. Alle Maschinen einer Klasse mit ihren Tendern müssen in ihrer Konstrukzion im Allgemeinen sowohl als insbesondere in den mechanischen Theilen, den Gewinden etc., nach bestimmten Kalibern genau gleich bearbeitet werden, so daß jedes Stück einer Maschine an dieselbe Stelle einer jeden anderen so passen muß, als ob es ursprünglich dafür bestimmt gewesen wäre.

Auch müssen die entsprechenden Theile der Maschine verschiedener Klassen so weit, als es mit der spezifischen Einrichtung jeder Klasse vereinbarlich ist, im Kaliber übereinstimmend seyn.

Ferner wird bedungen, daß bei Ausarbeitung der Zeichnungen zu diesen Maschinen auf die Konstrukzion der gegenwärtig auf den königl. Bayerischen Staats-Eisenbahnen vorhandenen Maschinen bei allen jenen Theilen Rücksicht genommen werde, wo durch Abänderung kein erheblicher Vortheil zu erzielen ist. Dahin gehört insbesondere die Beibehaltung des Gewindkaliebers.

§. 11.

Von der Ausrüstung der Maschine und des Tenders. Jeder Maschine müssen nachstehende Stücke beigegeben werden:

1 Kohlenschaufel,

1 Feuerhaken,

1 Feuerspieß,

2 Rohrputzer,

1 Rohrstöpseleisen mit 12 hölzernen Stöpseln,

1 eiserner Bankhammer,

1 Kupferhammer,

6 Meißel,

1 vollständiges Sortiment Schraubenschlüssel für sämmtliche Schraubenmuttern, welche bei der Lokomotive und dem Tender vorkommen,

1 französischer Schraubenschlüssel,

2 Hebeisen,

1 Zugkette von 30 f Länge,

1 kupferne Fettkanne,

1 blecherne Fettbüchse,

1 größere und 2 kleinere Oelkannen,

1 Laterne zum Wasserstandszeiger,

2 Laternen zur Beleuchtung der Bahn.

§. 12.

Gewähr für die Leistung. Um die Tüchtigkeit der Materialien und der Arbeit, sowie die Erfüllung aller vorstehenden Bedingungen zu konstatieren, wird vorbehalten, daß, nachdem die Maschinen durch den Fabrikanten auf der k. bayerischen Eisenbahn aufgestellt seyn werden, dieselbigen ohne weiteren Aufenthalt, als das Reinigen erfordert, Ein Tausend bayerische Poststunden im ordentlichen Dienste laufen.

Sollten sich während dieser Probezeit Material- oder Konstrukzionsfehler zeigen, so müssen diese fehlerhaften Theile durch den Lieferanten unentgeltlich ersetzt werden.

Als Leistung der Maschinen wird bedungen, daß die Maschinen der Klasse A bei ruhiger Luft auf Bahnstrecken, in welchen die größte Steigung 1:200 ist, 80 Tonnen ausschließlich des Tenders mit 9 bayerischen Wegstunden konstanter Geschwindigkeit in Bruttoladung führen; die Maschinen der Klasse B auf Bahnstrecken, auf welche die größte Steigung 1:100 ist, 90 Tonnen mit einer Geschwindigkeit von 6 bayerischen Wegstunden und die Maschinen der Klasse C auf Bahnstrecken, auf welchen die größte Steigung 1:100 ist, 140 Tonnen Bruttolast ausschließlich des Tenders mit 4 bayerischen Wegstunden Geschwindigkeit. -

Genehmigt durch höchste Entschließung des königlich bayerischen Ministeriums des Inneren vom 8. Mai 1846.



Nürnberg, am 13. Juni 1846.

Königlich bayerische Eisenbahnbau-Kommission.

Pauli5. Dürig.


Weiter zum 2. Teil der Ausschreibung


1Es wurde die originale Typographie beibehalten

2Pflichtenheft

3damit ist der Füllgrad der Zylinder gemeint

4Die Klasse A istr die Gattung A II, die Klasse B die Gattung B I, und die Klasse C die Gattung C I. Lokomotiven der Gattung A I sind bereits beschafft, ein Vertreter dieser Type ist z. B. die »Bavaria«

5Pauli konstruiert den nach ihm benannten Pauliträger, der u.a. beim Bau der Großhesseloher Brücke über die Isar eingesetzt wurde