Zeichnungen Projektideen Projekte Multimedia Journal Galerie Themen Selektor
Home: LBF


Heldenzüge 1859
Bahnfahrt in den Untergang


Dr. Andreas Werner

Momentaufnahme aus einem versunkenen Reich

Die riesigen, heute «abtrünnigen» Gebiete der ehemaligen Donaumonarchie sind eisenbahnhistorisch hochinteressant, werden aber oft vernachlässigt. Selten, aber umso aufschlußreicher sind lebensnahe Darstellungen aus der Frühzeit der dortigen Eisenbahn, die es ermöglichen, sich ein realistisches Bild von einer Gesellschaft zu verschaffen, die in dieser Form nicht mehr existiert. Bereits 1837 hatte der elsässische Drucker Godefroy Engelmann ein Patent auf die Technik der Chromolithographie erhalten, die im Prinzip eine natürliche Wiedergabe auch in Farbe ermöglicht. Die folgende Lithographie[Link:Abb_01] ist mit dieser Technik im Jahre 1864 in Wien gedruckt worden. Sie wirft ein buntes Schlaglicht auf Verkehrsgeschichte und Lebensumstände in jenem längst vergangenen altösterreichischen Staatsgebilde.

Bild Abb. 1: Lithographie von J. Breyer aus der Serie «Heldenzüge 1859». Bildunterschrift: W.O. Noltsch comp. Reinhart gem. / Lith. u. in Farb. gedr. in der k. k. Hof- und Staatsdruckerei in Wien, 1864.
Abb. 1: Lithographie von J. Breyer aus der Serie «Heldenzüge 1859». Bildunterschrift: W.O. Noltsch comp. Reinhart gem. / Lith. u. in Farb. gedr. in der k. k. Hof- und Staatsdruckerei in Wien, 1864.

Der unterhalb des Bildes befindliche Text informiert uns, daß sich im Sommer 1859 bei dem Dorf Seriate folgende Szene zugetragen hat:

Nachdem eine kleine Patrouille vom Infanterie-Regimente Erzherzog Ernst Nr. 48 den 8. Juni 1859 versprengt worden war, widersetzte sich der Gemeine Meinhard Kotsis jeder freiwilligen Übergabe und trachtet, wenn auch mit Lebensgefahr, sich an die nächste Truppe anzuschliessen. Vor Seriate hört er den kommenden Eisenbahnzug; nun denkt er nicht allein an seine, sondern an die Rettung der darin befindlichen österreichischen Soldaten. Er verläßt den ihn schützenden Damm, versucht, da sein Winken vom Locomotivführer unbemerkt bleibt, sich auf das Locomotiv zu schwingen, stürzt aber zurück. Der Locomotivführer, dadurch aufmerksam gemacht, bringt den Zug zum Stehen, und Kotsis beeilt sich dem Commandanten zu melden, dass Seriate vom Feinde besetzt ist und die Eisenbahnschienen dort ausgehoben sind. Er rettet dadurch das ganze Bataillon von einer unvermeidlichen Katastrophe.

Die Lithographie enstammt einer Serie mit dem Titel «Heldenzüge aus dem Jahre 1859», die ab 1862 in der österreichischen Monarchie in den Verkauf gelangte. Bei dem vorliegenden Blatt handelt es sich offenbar um eine spätere Ergänzung, denn es fehlt in der ursprünglichen Liste von 35 Lithographien mit durchweg militärischen Motiven. Anders als man vermuten möchte, spielt der Titel nicht auf Eisenbahngeschichtliches, sondern vielmehr auf Charakterzüge von Mut und Tapferkeit österreichischer Soldaten an. In der Tat gibt der Einleitungstext einige Erläuterungen zu den dahinterstehenden Absichten:

Obwohl der Ausgang des Feldzuges 1859 in Italien für die österreichischen Waffen nicht günstig war, so war derselbe nichts desto weniger so reich an einzelnen Zügen von Heldenmuth, Ausdauer, militärischer Treue und humaner Übung der Kriegspflicht, wie irgend einer, den die Geschichte als glorreich für die österreichische Heeresehre in ihren Annalen verzeichnet hat. In den vorliegenden Tafeln sind einige dieser Züge, die unter den Auspicien Ihrer Majestät der Kaiserin CAROLINA AUGUSTA gemalt und in der unterzeichneten Anstalt chromo-lithographisch vervielfältigt wurden, bildlich dargestellt. Es sind zusammen 35 solcher Bilder, welche sowohl im Ganzen als einzeln abgegeben werden. Gebunden bilden dieselben ein hübsches Album, eingerahmt eine passende Zimmerverzierung. Ihrem Gegenstande nach dürften sich diese Bilder vor Allem den Militärs aller Grade empfehlen, besonders jenen, welche diesen Feldzug mitgemacht haben. Aber auch jeden patriotischen Bürger der Monarchie müssen sie anziehen, denn alle Jene, deren Heldenmuthe hier ein Denkmal gesetzt ist, sind aus den Reihen der österreichischen Völker hervorgegangen, welche alle, ohne Unterschied der Nationalität, zu dem Ehrenschilde des österreichischen Kriegsruhmes von jeher redlich ihr Schärflein beigetragen haben. Unserer männlichen Jugend dürfen die Beispiele militärischer Tugenden, die sie hier vor Augen haben, als Sporn dienen, es dermaleinst ihren Vorgängern an Tapferkeit und patriotischer Hingebung gleichzuthun, damit sie das Vermächtniss österreichischen Kreigsruhmes reich vermehrt ihren Nachkommen überliefern können.
Wien, im October 1862.

Der Weg zur Schlacht von Solferino

Am Ausgang der napoleonischen Wirren war die Lombardei, die ehemalige «Cisalpinische Republik», im Wiener Kongress 1815 dem österreichischen Kaiserreich zugeschlagen worden. Zusammen mit dem von 1797-1805 bereits österreichischen Venetien wurde ein künstliches «lombardo-venetianisches Königreich» geschaffen, an dessen Spitze der österreichische Vizekönig und später Generalgouverneur in Mailand stand. Beflügelt vom neuen Nationalgedanken kam es in der Folge immer wieder zu Aufständen der dort ansässigen italienischen Bevölkerung, insbesondere im Revolutionsjahr 1848. Sardinien-Piemont, das alte Königreich des Hauses Savoyen am Fuß der Seealpen, setzte sich zum Ziel, die Österreicher aus Oberitalien zu vertreiben und Italien unter sardinischer Herrschaft zu einigen. Diese Ziele vereinbarte sein Premierminister Camillo Benso Graf von Cavour, der «italienische Bismarck», in einem Geheimabkommen vom Juli 1858 mit dem französischen Kaiser Napoleon III., den er während eines Aufenthalts im Kurort PlombiËres-les-bains traf. Prompt führten savoyardisch-französische Aufrüstung und diverse Provokationen zu einem österreichischen Ultimatum, das wirkungslos verstrich. Daraufhin marschierten die Österreicher am 29. April 1859 in das Piemont ein. Da sie als Aggressor auftraten, fehlte ihnen jegliche Unterstützung durch die anderen europäischen Großmächte, während die französischen Truppen zum Teil bereits kampferfahren aus dem eben beendeten Krimkrieg zurückkehrten. Dort hatten die Piemontesen mit ihnen Seite an Seite gekämpft. Während sich der österreichische Truppenführer, Graf Ferencz Jozsef Gyulay, in einzelnen Scharmützeln verzettelte, konnten die Franzosen in aller Ruhe ihre Truppen über die Alpen und durch den Seehafen Genua herbeischaffen. Nun in Kampfstärke, besiegten sie die gleichstarken Österreicher unter Gyulay am 4. Juni 1859 bei Magenta, vereinigten sie sich in Mailand mit den Piemontesen und marschierten weiter ostwärts. In der Zwischenzeit war auch Kaiser Franz Joseph auf dem Kriegsschauplatz eingetroffen und konsolidierte seine Kräfte. Am 24. Juni 1859 liefen sich bei San Martino und Solferino, südlich des Gardasees, die 151.000 Soldaten Piemont-Sardiniens und Frankreichs und die 133.000 Soldaten Österreichs unerwartet in die Arme. Man hatte die militärische Feindaufklärung schlicht vernachlässigt und traf völlig unvorbereitet aufeinander; es war 3 Uhr nachts.

Zum letzten Mal in der europäischen Geschichte standen sich Truppen unter dem direkten Oberbefehl ihrer jeweiligen Staatsoberhäupter gegenüber, Napoleon III. und Viktor Emanuel II. auf der einen Seite und der gerade 29-jährige Kaiser Franz Josef auf der anderen. Alle drei waren mehr in Uniformen gesteckte Politiker als echte Militärs, ihre Heere durch lange Märsche erschöpft und schlecht versorgt. Die Front erreichte eine Länge von fast 20 Kilometern Breite, und das Gemetzel zog sich den ganzen Tag hin - auf Trockenheit und Hitze folgten nachmittags Sturm und Regen. Der Franzose Gaspard Felix Nadar fotografierte diese Schlacht aus einem Ballon heraus und machte so die ersten Luftaufnahmen der Geschichte. Nach mehr als 15 Stunden endete sie mit der Niederlage des österreichischen Kaisers. In ihrem Verlauf waren auf beiden Seiten etwa 40.000 Soldaten getötet oder verwundet worden; beinahe wäre der junge österreichische Kaiser unter den Toten gewesen. Friedrich Engels urteilte später in der Zeitschrift «Das Volk» vom 9.7.1859: «Die österreichischen Truppen sind nicht von den Alliierten, sondern von der zudringlichen Dummheit und Anmaßung ihres eigenen Kaisers besiegt worden».

In den darauffolgenden zwei Monaten verdoppelte sich noch einmal die Zahl der Opfer durch Nahrungsmangel und die völlig unzureichenden medizinischen Verhältnisse. Die Logistik der österreichische Armee konnte die Verpflegung nicht sicherstellen, und das Sanitätsmaterial der Franzosen war in Genua zurückgeblieben. Die völlig überforderten militärischen Sanitätsdienste überließen Verwundete nach ihrer Bergung oft sich selbst; Zivilisten sprangen ein und nahezu jedes Privathaus im Umkreis wurde zu einem Behelfslazarett umfunktioniert. So starben die meisten Soldaten nicht infolge der Kampfhandlungen, sondern an den Folgen ihrer Verwundungen und der schlechten hygienischen Bedingungen. Genauso zufällig wie die Schlacht ausbrach, war auch der Schweizer Arzt und Kaufmann Henry Dunant am Ort des Geschehens; er war am Abend der Schlacht eingetroffen, weil er eigentlich mit dem französischen Kaiser geschäftliche Probleme in Algerien besprechen wollte. Unter dem unmittelbaren Eindruck der erschreckenden Zustände führte seine philantropische Initiative schließlich zur Gründung des Roten Kreuzes und der Genfer Konvention von 1864 ([1]).

Die «Ferdinandea»

An einem Sommertag nicht einmal drei Wochen vor der Entscheidungsschlacht fuhr also das Locomotiv unserer Lithographie in Richtung Seriate, einem Dorf von damals knapp 2500 Einwohnern, in der Nähe von Bergamo. Für die Strecke kommt nur die «Ferdinandea» in Betracht, die k.k. Ferdinandsbahn von Mailand nach Venedig ([2]; [3]; [4], S.34-46), die ab 1840 zunächst von beiden Endpunkten aus vorangetrieben worden war. Dabei hatte man sich lange nicht einigen können, ob die Strecke von Brescia aus auf direktem Weg nach Mailand zu führen sei, oder unter Einbeziehung von Bergamo, was einen deutlichen Umweg nach Norden bedeutete. Das Kapital der Aktionäre floß zunächst in das Großprojekt einer Lagunenbrücke nach Venedig[Link:Abb_02], das damals als Hauptkriegs- und Handelshafen der Donaumonarchie ausgebaut werden sollte, ehe Triest später diese Rolle einnahm. Bald führte die Bahn sowohl von Mailand nach Como (44 km) und Treviglio (31 km), als auch von Venedig über Verona nach Coccaglio jeweils lebhaften Verkehr durch; die beiden Teilstrecken blieben aber getrennt.

Bild Abb. 2: Eisenbahnbrücke über die Lagunen bei Venedig. Aus [5], S.216 Abb.200.
Abb. 2: Eisenbahnbrücke über die Lagunen bei Venedig. Aus [5], S.216 Abb.200.

Im Revolutionsjahr 1848 kam es in Oberitalien zum Volksaufstand gegen die Österreicher; sogar ein Teil der Lagunenbrücke wurde gesprengt. Der Aufstand wurde schließlich von Feldmarschall Radetsky niedergeschlagen. Ab dieser Zeit mußte Wien wegen zunehmender Finanzierungsprobleme die Aktien zahlreicher Eisenbahnunternehmen aufkaufen, so daß 1852 auch Ferdinandsbahn vollständig durch den Staat übernommen wurde. Es entstand die «Lombardisch-venetianische Staatsbahn» (LVStB)[Link:Abb_03]. 1855 besaß der Staat insgesamt 1806 km fertige Eisenbahnstrecken, und die diversen k.k. Staatsbahnen betrieben zusammen das größte Eisenbahnnetz Europas. Es war auch zu derselben Zeit (1854), daß die k.k. Südliche Staatsbahn (SStB) den Zugverkehr über den Semmering und damit die Nord-Südverbindung über die Alpen aufnahm.

Bild Abb. 3: Karte der Lomb. Venet. und Central-Ital. Eisenbahnen [zur Zeit ihrer Übernahme durch die Privatbahn.] Aus [5], S.329 Abb.303.
Abb. 3: Karte der Lomb. Venet. und Central-Ital. Eisenbahnen [zur Zeit ihrer Übernahme durch die Privatbahn.] Aus [5], S.329 Abb.303.

Aber alle diese Staatsbahnen hatten nicht lange Bestand ([5]; S.314-319): Ständig schwelten militärische Konflikte, die die Staatsausgaben ins Unermeßliche trieben; das Kaiserhaus hatte sich durch die Rüstung hoffnungslos überschuldet (bis 1854 auf 315,5 Millionen Gulden). Die Steuern stiegen und die Nationalbank warf die Notenpresse an; das so entwertete Papiergeld war bald nicht mehr durch den Silberschatz gedeckt. Die Kreditwürdigkeit war 1854 so stark gesunken, daß der Kaiser «an seine threuen Unterthanen» appellieren und nationale Staatsanleihen ausgeben mußte. In dieser verzweifelten Lage beschloß der Staat am 19.10.1854, neben Bergwerken und Staatsforsten auch die staatlichen Eisenbahnen wieder zu Geld zu machen, in der Hoffnung, daß ein weiterer Ausbau der Infrastruktur durch private Investoren dem Wirtschaftsaufschwung insgesamt dienen würde. Die Folgen dieser Entscheidung waren schwerwiegend, denn der Erlös deckte bei weitem nicht die Entstehungskosten, und die Spekulanten erhielten kostspielige Ertragsgarantien und Zinsbürgschaften. So kam es, daß auch die LVStB mit ihren 402 Streckenkilometern am 14.3.1856 zum Schnäppchenpreis von 6,84 Millionen Francs an das Rothschild-Konsortium in Paris veräußert wurde; die staatliche Konzession wurde bis zum Jahr 1948 erteilt. Am 1.7.1856 nahm das Konglomerat den zungenbrecherischen Namen «k.k. priv. südliche Staats-, lombardisch-venetianische & centralitalienische Eisenbahn-Gesellschaft» (LVCI) an. Durch weitere Zukäufe, zuletzt der SStB (23.9.1858), enstand ein gewaltiger Komplex[Link:Abb_04] mit insgesamt 3133 km Schienenweg in einer Hand, mit Verwaltungssitz in Wien, aber letztlich unter französischer Kontrolle. Dies war die Keimzelle sowohl der späteren k.k. priv. Südbahngesellschaft wie auch der norditalienischen Strade Ferrate dell'Alta Italia (SFAI).

Bild Abb. 4: Die Linien der südl. Staats-, lomb.-venet. und central-ital. Eisenbahn-Gesellschaft im Jahre 1859. [Nach einer Karte aus jener Zeit.] Aus [5], S.341 Abb.306.
Abb. 4: Die Linien der südl. Staats-, lomb.-venet. und central-ital. Eisenbahn-Gesellschaft im Jahre 1859. [Nach einer Karte aus jener Zeit.] Aus [5], S.341 Abb.306.

Die Gesellschaft legte nun in Mailand statt der beiden alten Bahnhöfe einen großen Zentralbahnhof an; und gemäß vertraglicher Verpflichtung wurde endlich auch die letzte verbliebene Lücke der Ferdinandsbahn geschlossen: am 12.10.1857 konnte das Teilstück von Coccaglio über Bergamo bis Treviglio[Link:Abb_03] eröffnet werden, eben jenes Stück, auf dem sich unsere kleine Szene abspielt. Das Industriezentrum Mailand war von nun an mit dem österreichischen Seehafen Venedig verbunden.

Korbballons und Liniensignale

Wenn man sich die Szenerie genauer ansieht, entdeckt man am linken Bildrand einen Streckenposten und daneben einen Signalmast mit zwei rotgestrichenen Ballons[Link:Abb_05]. Im Technischen Museum Wien findet sich noch heute ein ähnliches Exemplar, an dessen hölzernem Mast ballonförmige Weidenkörbe aufgezogen werden konnten. Warum nun bediente der Gemeine Kotsis nicht einfach dieses Signal, um den Zug anzuhalten?

Bild Abb. 5: Links: Signalmast und Streckenposten aus Abb. 1 (vergrößert). Rechts: Österreichisches Korbsignal und Handsignal aus Weidengeflecht, Technisches Museum, Wien.
Abb. 5: Links: Signalmast und Streckenposten aus Abb. 1 (vergrößert). Rechts: Österreichisches Korbsignal und Handsignal aus Weidengeflecht, Technisches Museum, Wien.

Dazu muß man berücksichtigen, daß die Korbballons aus der Frühzeit der Eisenbahn als durchlaufendes Liniensignal dienten, das dem Zug vorauseilte und ihn ankündigte. Das optische Signal galt als Bestätigung dafür, daß der Streckenabschnitt befahrbar war, erforderte also stets aufmerksame Posten und gute Sichtverhältnisse, um die Stafette weiterzugeben. Die darstellbaren Signalbegriffe erlaubten lediglich das Vormelden der Züge, die Absage ausgefallener oder stark verspäteter Züge und die Herbeirufung von Hilfsmaschinen. Die entsprechenden Signalbegriffe sind in der folgenden Abbildung[Link:Abb_06] dargestellt. Korrekterweise ist für den hier aus Osten kommenden Zug auf dem Weg nach Seriate «Der Zug fährt gegen den Anfangspunkt der Linie» signalisiert, denn diese nahm in Mailand ihren Ausgang.

Bild Abb. 6: Optische Telegraphen bis 1872. Aus [7], S.61 Abb.26.
Abb. 6: Optische Telegraphen bis 1872. Aus [7], S.61 Abb.26.

Bereits bald nach 1845 hatten die Wächter und Stationen die genannten Masten mit aufziehbaren Körben[Link:Abb_07] erhalten, die aber auch mit beweglichen Armen, Kreuz- oder Flachscheiben ausgerüstet sein konnten. Nachts wurden Laternen aufgezogen, die die Stellung der Körbe, Arme oder Scheiben erkennen lassen sollten, oder die direkt als Lichtsignal in verschiedenen Farben und Kombinationen dienten. Erst nach und nach wurden diese verschiedenen Typen optischer Telegraphen durch die elektrische Telegraphie zwischen den Stationen und die elektrischen Läutewerke bei den Streckenwärtern ersetzt. Gustav Gerstel bemerkt dazu ([6], S.39-40):

Der heutige [Morse-]Apparat - 1837 in Amerika erfunden - vermochte sich lange nicht Bahn zu brechen, weil das Erlernen eines Zeichenalphabetes als durchaus unvereinbar mit dem Bildungsgrade der in Frage kommenden Beamtencategorien erklärt wurde. Erst ein Zufall - das Erlernen des Telegraphirens durch das Gehör seitens eines Angestellten - führte eine Wandlung herbei, und ab 1858 bürgerte er sich immer mehr und mehr ein. Auch mit diesem Jahre erst waren nahezu sämmtliche Stationen überhaupt in telegraphischer Verbindung, wenige Jahre vorher erst die Hälfte. Als die Semmeringbahn 1854 eröffnet wurde, erhielten deren Streckenwächter bereits die elektrischen Glockensignale. Die nächste Bahn, welche ihr darin folgte, die Glockensignale jedoch nicht nur auf einer kurzen Theilstrecke, sondern bereits längs ihrer ganzen Linie anwendete, war die Kaiserin Elisabeth-Bahn, deren erste Theilstrecke von Wien bis Linz Ende 1858 eröffnet wurde. [...] Der Vortheil der elektrischen Glockensignalwerke wurde nach diesen zwei ersten Versuchen in Oesterreich nun rasch allseitig erkannt, und erhielt die Südbahn 1862 ebenfalls die Genehmigung, auf ihren ungarischen Linien, wie am Karst und Semmering, die optischen Signale aufzulassen, während 1865 bereits auf allen Südbahnlinien mit Glockensignalen allein avisirt wurde.

Die Semmeringbahn wurde in Österreich als erste mit elektrischen Läutewerken ausgerüstet; diese wurden von der k.k. Telegraphen-Werkstätte der Staatstelegraphen-Anstalt nach einem Vorbild der Eisenbahnlinie Magdeburg-Buckau angefertigt ([7], S.61-62). Da man bei den rauhen Verhältnissen der Gebirgsbahn die Möglichkeit plötzlicher Felsstürze und Schneeverwehungen nicht außer Acht lassen durfte, wurden zusätzlich zu den oben genannten Meldungen nun eine Anzahl weiterer Signalbegriffe wie «Alle Züge aufhalten», «Die Strecke ist verweht», «Zug befährt das falsche Gleis» usw. eingefügt. Anders als in Deutschland, wo die Läutewerke lediglich vier unterschiedliche Signalbegriffe passiv mitteilen konnten, waren in Österreich sämtliche Signalposten auch in der Lage, selbst Glockensignale abzugeben. Bis zum Jahre 1858 waren von der Südbahn, der Elisabeth-Bahn und der Südnorddeutschen Verbindungsbahn zusammen 302 Glockenapparate in Dienst gestellt worden, die sich bis 1863 auf 996 erhöhten. Erst mit Inkrafttreten einer einheitlichen Signalordnung in Österreich-Ungarn am 1. Juli 1877 wurden die bis dahin noch weiterhin zulässigen Korbsignale gänzlich abgeschafft.

Bild Abb. 7: Links: Einfahrt nach Grignano. [Nach einer Zeichnung von J. Novopacky aus dem Jahre 1857.] Aus [5], S.292 Abb.277. Rechts: Signale des Streckenpersonales: «Wächterhaus 365 auf der Strecke Prag-Bodenbach [mit dem Tunnel bei Mülhausen]. Original-Aufnahme von J. Gaube, Beamten der B.E.B.». Aus [7], S.71 Abb. 35..
Abb. 7: Links: Einfahrt nach Grignano. [Nach einer Zeichnung von J. Novopacky aus dem Jahre 1857.] Aus [5], S.292 Abb.277. Rechts: Signale des Streckenpersonales: «Wächterhaus 365 auf der Strecke Prag-Bodenbach [mit dem Tunnel bei Mülhausen]. Original-Aufnahme von J. Gaube, Beamten der B.E.B.». Aus [7], S.71 Abb. 35.

Um den Zug anzuhalten, hätten jedoch die «Signale des Streckenpersonales» zur Verfügung gestanden ([7], S.70). Das gebräuchlichste Tagsignal war die Handsignalscheibe aus Blech oder Weidengeflecht[Link:Abb_07]. Die Scheiben waren ursprünglich in rot-weiße Quadranten, später in Hälften geteilt oder ringförmig rot-weiß, bei der Südbahn aber auch grün-weiß bemalt. Ein solches Exemplar[Link:Abb_05] ist ebenfalls im Technischen Museum Wien erhalten. Daneben waren auch rote und grüne Fahnen in Gebrauch. Neben «Halt» und «Freie Fahrt» signalisierten die Wächter «langsame Fahrt» durch ausgestreckte Arme oder waagrecht gehaltene Fahnen, später auch durch schräg nach abwärts geneigte Arme bzw. Fahnen. Außerdem wurde später noch das Signal «Zug zerrissen» eingeführt, das mit dem Rangiersignal «Vorwärts» übereinstimmte und durch senkrechtes Auf- und Abbewegen der Signalfahne, der Handsignallaterne oder eines anderen Gegenstandes angezeigt wurde.

Eine italienische Österreicherin aus Frankreich

Auf der Lithographie ist eine 1B-Schlepptenderlokomotive[Link:Abb_08] mit der Bahnnummer 51 zu erkennen, an der der hohe Dampfdom und Außenrahmen auffallen. Die Lok selbst ist grauschwarz, ihr dreiachsiger Tender grün und sehr hoch gebaut. Wurde damals mit Torf gefahren? Im Schlepptau hat sie einen Truppenzug, vermutlich keucht sie schwer unter der Last. Die Lokomotiven der Ferdinandsbahn wurden damals mit Olivenöl geschmiert, für das Depots entlang der ganzen Strecke errichtet worden waren.

Bild Abb. 8: Lokomotive aus Abb. 1 (vergrößert), Bahnnummer 51.
Abb. 8: Lokomotive aus Abb. 1 (vergrößert), Bahnnummer 51.

Mitten in einem anderen Krieg, am 18. März 1916, starb während eines Aufenthaltes am Semmering der berühmte österreichische Lokomotivkonstrukteur Karl Gölsdorf überraschend an einem akuten Halsleiden. In der Zeitschrift «Die Lokomotive» erschien daraufhin noch im selben Jahr ein Artikel zum «Lokomotivstand der Südtiroler-Venetianischen Eisenbahn im Jahre 1863», der mit der folgenden Einleitung beginnt ([8]):

Unter der Sammlung weiland Sect.-Chef Dr. Ing. h.c. Gölsdorf fand sich ein von ihm 1880 erworbenes kleines photographisches Album (in französischer Sprache!) betitelt: «Inventaire Fotografique et statistique du matériel roulant sur le reseau vénetien et du Tirol Meridional 1863», von dem die Lokomotiven hier sämtlich vorgeführt werden sollen. [...] Da keinerlei Beschreibung beigegeben ist und nur wenige Abmessungen unter den Bildern stehen (so fehlt z. B. Leer-, Dienst- und Treibgewicht), konnten diese Maschinen nur ausführlich besprochen werden, soweit uns anderweitige Unterlagen bekannt sind.

Jenes Album, welches also 1916 sozusagen beim Aufräumen im Hause Gölsdorf entdeckt worden war, gibt Auskunft über den 1863 vorhandenen Fahrzeugpark (siehe auch [4], Tabelle auf S.324). Dieses Jahr ist insofern interessant, als es genau dem Zeitpunkt entspricht, in dem auch unsere Lithographieserie gedruckt wurde. Österreich hatte die Lombardei bereits verloren, aber besaß noch für wenige Jahre die venetianische Provinz, bevor auch diese, und damit weitere bedeutende Streckenteile der Südbahngesellschaft, durch Krieg verlorengehen sollten. Wie für die Betriebssituation der Südbahn nicht unüblich (der Güterverkehr nach den österreichischen Häfen war nie sehr bedeutend) war nur ein Viertel der darin verzeichneten Maschinen Güterzuglokomotiven; jedoch werden die 1B-Lokomotiven, wie sie unsere Lithographie zeigt, auch vielfach vor Güterzügen und gemischten Zügen zum Einsatz gekommen sein.

Zuvor, noch zu Zeiten der Lombardisch-venetianischen Staatsbahnen, war manches verschlampt worden und eine lässige Betriebsabwicklung herrschte vor - dies «wenigstens ein Punkt [...], in dem sich die Italiener und die wenigen Österreicher bestens verstanden» ([4], S.42). Eine sofort nach der Privatisierung von der LVCI durchgeführte Inventur ergab schwachen Oberbau, abgenützte und reparaturbedürftige Lokomotiven in schlechtem Zustand und unzulängliches Wagenmaterial. Unverzüglich machte sich die neue, private Leitung daran, diesen Zustand zu ändern. Es wurden Bestellungen aufgegeben über «65.000 t Vignoles-Schienen aus England, 10.000 Schienenstühle aus England, 300.000 Stück Eichenschwellen, 170 Lokomotiven aus Frankreich und England, 2413 Waggons, davon an Personenwagen 63 Stk. 1. Kl., 125 Stk. 2. Kl., 250 Stk. 3. Kl., 125 Stk. Gepäck- und 1850 Stk. Güterwagen» ([4], ebda). So kam es, daß die LVCI im Kriegsjahr 1859 insgesamt 210 Lokomotiven besaß, von denen der weitaus größte Teil (186 Stück) selbst beschaffte, neueste Konstruktionen waren.

Von insgesamt 159 für das Jahr 1863 aufgeführten Maschinen stammten lediglich 7 alte Exemplare aus Österreich (John Haswell/Wien). Daneben war eine bedeutende Zahl «Schnellzugloks» (sic!) des Patentee-Typs 1A1 aus England und Bayern geliefert worden, nämlich 50 von Stephenson/Newcastle 1857 (FNr. 1101-1150; Bahn-Nr. 1-15) und Beyer & Peacock 1857 (Bahn-Nr. 16-25) sowie 12 der ursprünglich 14 schwächeren 1A1 von Maffei/München 1852/53 (FNr. 85-90, erster Name TEODOLINDA, Fnr. 119-124, erster Name MESTRE; Bahn-Nr. 26-37) ([4], S.123; 324; 326). Alle diese Loks fielen entweder 1859 an Italien oder gingen 1868 von der k. k. priv. Südbahn an die SFAI über, was insofern nichts änderte, als es sich dabei nur um die italienische Betreibergesellschaft desselben «Global Players» handelte.

Neben den oben genannten 1A1-Schnellzugloks umfaßte der Lokomotivbestand eine größere Zahl von 1B-Personenzugloks, ausschließlich von französischen Lieferanten: ursprünglich 40 Maschinen[Link:Abb_09] waren 1857-59 von Koechlin/Mulhouse geliefert worden, wovon noch 10 Exemplare mit der Bahn-Nr. 61-70 (später 161-170, erster Name TASSO) als Reihe 5 in den Bestand der Südbahn gelangten (FNr. 438, 440-441, 443-449). Diese erhielten ab 1885 ihr Gnadenbrot vor langen Zügen aus Zweiachsern des Wiener Nahverkehrs, bevor sie um 1896 zum Abbruch verkauft wurden ([4], S.122-123; Skizze 126 oben; Tabelle S.324, S.326; [8], S.251).

Bild Abb. 7.
Abb. 9: 1B-Personenzuglokomotive Reihe 5 der Südbahn, Koechlin, Mulhouse 1857-59. Es könnte sich um die Bahn-Nr. 84 MICHELANGELO handeln. Aus [8], S.251.

Weitere 10 Maschinen[Link:Abb_10] mit Bahn-Nr. 71-80 wurden 1857/58 von Parent & Schaken/Lille erbaut und 1868 als Reihe 6 in den Bestand der Südbahn übernommen, jedoch bereits um 1880 abgebrochen ([4], Tabelle S.324, S.327; [8], S.251).

Bild Abb. 10: 1B-Personenzuglokomotive Reihe 6 der Südbahn, Parent & Schaken, Lille 1857/58. Es könnte sich um die Bahn-Nr. 74, ex. Nr. 94, später SFAI 424 bzw. RA 204 handeln. Aus [8], S.251.
Abb. 10: 1B-Personenzuglokomotive Reihe 6 der Südbahn, Parent & Schaken, Lille 1857/58. Es könnte sich um die Bahn-Nr. 74, ex. Nr. 94, später SFAI 424 bzw. RA 204 handeln. Aus [8], S.251.

Schließlich weist der Artikel auch noch auf weitere 10 Maschinen mit Bahn-Nr. 51-60 hin, die bei leicht vergrößerten Treibrädern den vorgenannten in den Abmessungen weitgehend entsprachen. Diese Maschinen waren 1857/58 ebenfalls von Koechlin geliefert worden, sind aber in dem Album aus Gölsdorfs Nachlaß nicht abgebildet. Sie erhielten die mythologischen Namen MERCURIO, BACCO, GANYMEDE, GIANO, APOLLO, ULISSE (FNr. 378-383/1857) sowie ORAZIO, ARISTOFANE, SOFOCLE und PLUTARCO (FNr. 416-419/1858). Die Südbahn übernahm die zehn Loks in ihren Bestand als Reihe 4. 1867 kamen sie zur SFAI (Nr. 431-440); dann bei der Verstaatlichung 1875 zur Rete Adriatica (Bahn-Nr. 211-220), wovon 1905 schliesslich noch eine zur FS gelangte (SOFOCLE, FS-Nr. 1197). Die anderen neun Maschinen wurden von der Rete Adriatica von 1898 bis 1903 ausgemustert ([4], S.122, Tabelle S.324, S.326; [9]).

Bei unserer dargestellten Lok[Link:Abb_08] handelt es sich somit um die MERCURIO, FNr. 416 von 1858, die zum dargestellten Zeitpunkt noch fast fabrikneu war. Herbert Dietrich gibt für diese Serie im Zustand 1872 folgende technische Daten an ([4], S.122): Dienstgewicht 29,4t, Reibgewicht 20,5t, Heizfläche 120,2 m2, Zyl.-Bohrung x Hub 400x560 mm, Dampfdruck 7,0 at, Treibrad-D. 1680 mm, LüP 7982 mm, Achsstand 3320 mm. Eine Photographie oder Skizze genau dieser Baureihe konnte nicht gefunden werden. In der Lithographie fällt auf, dass sie nicht den «Südbahn-Stanizel», den typischen Schornstein für Holzfeuerung[Link:Abb_09] trägt, den die zeitgleiche Schwesterbaureihe von Koechlin erhalten hat. Auch die seitliche Platte vor dem ersten Kuppelrad gibt Rätsel auf.

Der Artikel aus Gölsdorfs Todesjahr betont insbesondere die französische Herkunft der zuletzt beschafften Maschinen, was angesichts der Eigentumsverhältnisse nicht verwundert. Die Beauftragung französischer Firmen hatte überdies Tradition: Bereits die private Ferdinandsbahn hatte während ihrer Errichtung am 7.9.1843 einen umfangreichen Vertrag mit dem Elsässer Maschinenbauer Stehelin geschlossen; die «schlüsselfertige» Bereitstellung umfasste den Bau von Betriebswerkstätten, 10 sechsrädrigen Lokomotiven (die zusammen mit J.J. Meyer & Cie gefertigt und 1844 abgeliefert wurden), Treibrädern, 200 Waggonradsätzen, 24 Drehscheiben, zwei hydraulischen Kränen, sowie die Abstellung von 81 Ingenieuren und Arbeitskräften für je zwei Jahre nach Mailand ([10]). Die Exportstärke der elsässischen Maschinenbauer, Jean-Jacques Meyer und später vor allem sein Mülhauser Konkurrent André Koechlin, wird bis weit in die 60er Jahre zu zahlreichen Lieferungen französischer Lokomotiven an die LVCI und ihre Nachfolger führen, bis schließlich die neue Situation nach 1871 eine Neuordnung bewirkt: Koechlin fusioniert am 1.5.1872 mit der im Lokbau relativ unerfahrenen Maschinenfabrik Graffenstaden, die künftig den deutschen Markt bedient, während man die Mülhauser Produktion sukzessive ins französische Territorium Belfort verlagert, um von dort aus Frankreich zu beliefern ([11]).

Der beherzte Sprung auf den Wagen

Abweisend ragen die Waggons[Link:Abb_11] mit ihren glatten Seiten, Lüftungsöffnungen und Bremsersitzen empor, vegeblich streckt der Kamerad im ersten Abteil seinen Arm aus. Sicher hat der Künstler die Wände mit Absicht überhöht dargestellt, um den Versuch des Gemeinen Kotsis, auf den fahrenden Zug aufzuspringen, besonders todesmutig erscheinen zu lassen. Es soll angemerkt werden, daß von Schnellzugloks gezogene Züge damals auf ebener Strecke eine Höchstgeschwindigkeit von gerade einmal 45 km/h erreichten. Damals üblich waren die nur 6 m langen Coupéwägelchen mit hölzernem Kasten und Untergestell, nachdem man erst kurz zuvor von den achträdrigen amerikanischen Durchangswagen mit Drehgestellen abgekommen war.

Bild Abb. 11: Wagen aus Abb. 1 (vergrößert).
Abb. 11: Wagen aus Abb. 1 (vergrößert).

Bei der k.k. südlichen Staatsbahn (SStB) waren die Güterwagen grau mit schwarzen Beschlagteilen; dieser graue Anstrich wurde bis zum Ende der k.k. priv. Südbahngesellschaft 1923 beibehalten. Zum Anstrich der Personenwagen heißt es bei der SStB in einer «Bedingnis» von 1850 ([4], S. 249): «Die Außenfläche der Wagenkästen sowie die mit diesen in gleichen Ebenen liegenden Flächen der Kastenträger sind für die I. Klasse gelb, für die II. Klasse grün und für die III. Klasse braun zu lackieren und schwarz zu beschneiden. Alle übrigen Teile der Wagengestelle sind grün zu lackieren und schwarz zu beschneiden, und das Dach ist schwarz anzustreichen.» Diese Bedingnis wurde erst 1891 durch eine neue Richtlinie abgelöst, die einen einheitlich grünen Wagenanstrich bei allen Klassen vorschrieb, mit gelben Beschneidungslinien bei der I. Klasse.

Die beiden Wagen auf der Lithographie entsprechen genau den genannten Vorschriften der SStB: Der hinter der Lok eingereihte graue gedeckte Güterwagen trägt offensichtlich oben links die Eigentumsbezeichnung «SStB», oben rechts die Wagennummer «GB3020». Vermutlich liegt ein Übertragungsfehler eines eisenbahntechnisch unbedarften Lithographen vor, denn beim Erstellen der seitenverkehrten Steindruckplatte ist daraus ein «SSi8» und «C°3020» geworden. Die rote Aufschrift unten rechts ist unleserlich. Eine Abbildung eines ähnlichen Wägelchens mit Bremsersitz findet sich bei H. Dietrich ([4], S.279). Dieser Wagen ist jedoch mit vier Lüftungsöffnungen je Seite und Stangenpuffern ausgerüstet; die Laufbretter, der über die Schiebetür führende Haltegriff und die Schlußscheibenhalter fehlen.

Der abgebildete Coupéwagen entspricht ebenfalls der «Bedingnis» von 1850; die Klassenbezeichnung wurde entsprechend den Vorschriften für die II. und III. Klasse in weißen, römischen Ziffern aufgebracht (I. Klasse schwarze Ziffern). Von diesem Typ Personenwagen sind uns drei Photographien[Link:Abb_12] überraschend guter Qualität überliefert, die hier wiedergegeben werden können ([12], S.99). Es handelt sich vermutlich um die ältesten Fotos österreichischer Personenwagen überhaupt, sie stammen vom Juni 1862 und zeigen je einen Wagen I., II. und III. Klasse der soeben übernommenen SStB, und tragen sämtlich noch deren Eigentumsbezeichnung. Diese Wagen sind bereits modernisiert mit neuen Achslagern und Radsätzen, einer über Laschen in die Federböcke eingehängten Federung und Schraubenkupplungen. Der Wagen mit der Bahnnummer A10 ist vermutlich gelb gestrichen, wie auch beim III.-Klasse-Wagen erkennt man die Klötze einer Feststellbremse. Der vermutlich grüne B 202 besitzt den halboffenen Bremsersitz mit den nach vorne geschwungenen Seiten, sowie als Besonderheit ein Nichtraucherabteil. Der vermutlich braune C 37 schließlich entspricht - bis auf den Bremsersitz - mit seinen Lüftungsöffnungen über den Abteiltüren exakt unserer Abbildung. Einzelne Waggons dieser Bauart hielten sich bei der Südbahn bis nach der Jahrhundertwende.

Bild Abb. 12: Juni 1862. Wagen der Südbahn, noch beschriftet als SStB. Von oben nach unten: Wagen I. Klasse Nr. A 10. Wagen II. Klasse Nr. B 202 mit Bremserhaus. Wagen III. Klasse Nr. C 37, erbaut von der Officina di Verona, J. Frossard & Cie. Aus [12], S.99.
Abb. 12: Juni 1862. Wagen der Südbahn, noch beschriftet als SStB. Von oben nach unten: Wagen I. Klasse Nr. A 10. Wagen II. Klasse Nr. B 202 mit Bremserhaus. Wagen III. Klasse Nr. C 37, erbaut von der Officina di Verona, J. Frossard & Cie. Aus [12], S.99.

Anstrichvorschriften der LVCI oder ihres Vorgängers, der LVStB, liegen leider nicht vor; sie könnten sich von denen der SStB unterschieden haben. Es finden sich jedoch acht weitere, weniger gute Aufnahmen von italienischen Wagen der LVCI, also der 1859 für das Streckenstück bei Seriate zuständigen Gesellschaft. Deren Wagenkasten wurde mit LOMB für das lombardische und VEN für das venetianische Netz beschriftet. Interessanterweise befindet sich darunter auch die Photographien zweier Dritte-Klasse-Wagen[Link:Abb_13]. Diese unterscheiden sich deutlich von dem gleichklassigen Wagen der SStB, denn die charakteristischen Lüftungsöffnungen sind dort nicht über, sondern zwischen den Abteilfenstern angebracht. Daraus läßt sich schließen, daß die Lok zwar eine echte Italienerin der LVCI ist, aber beide Wagen eindeutig SStB-Vorbilder haben. Hat der Künstler Wagen gezeichnet, die er aus eigener Anschauung im Wiener Umfeld kannte? Oder wurde der komplette Truppentransport ohne Umsteigen tatsächlich in den SStB-Wagen bis zur Front gefahren? Beides ist wohl möglich.

Bild Abb. 13: Wagen III. Klasse der LVCI. Aus [12], S.100-101.
Abb. 13: Wagen III. Klasse der LVCI. Aus [12], S.100-101.

Zeitzeugen

Was bleibt heute von dieser Eisenbahnwelt aus dem längst untergegangenen k.k. Vielvölkerstaat? Mit dem Waffenstillstand von Villafranca endeten am 11. Juli 1859 die Kampfhandlungen. Der Friede von Zürich vom 10. November 1859 beendete vollends den Sardinischen Krieg und schuf vollendete Tatsachen; Österreich musste die Lombardei mit Ausnahme der Festungen Mantua und Peschiera del Garda an Napoleon III. abtreten. Wie zuvor vereinbart, tauschte dieser die Lombardei unverzüglich gegen die Grafschaft Nizza und das savoyardische Kernland (bei Genf) ein, und schuf so das Frankreich in seinen heutigen Grenzen. Durch die Niederlage der Österreicher war der Weg zur Einigung Italiens eröffnet worden; Viktor Emanuel II. von Sardinien wurde 1861 zum ersten König des geeinten Italiens gekrönt. Für die Donaumonarchie war es der Anfang vom stückweisen Zerfall.

Bild Abb. 14 Bahnhof von Seriate, heutige Ansicht. Photo: Fabio Zenucchi.
Abb. 14: Bahnhof von Seriate, heutige Ansicht. Photo: Fabio Zenucchi. Clickbares Panoramio-Logo

Hinsichtlich der in der Lombardei gelegenen Eisenbahnen bestimmte der Züricher Friendensvertrag, daß 220 km Strecke (Magenta-Mailand-Peschiera, 176 km, Mailand-Camerlata-Como, 44 km) an Sardinien-Piemont abzutreten seien. Die auf österreichischem Staatsgebiet verbliebenen Linien wurden nun von Wien, die lombardischen von Mailand aus verwaltet. Einem lebhaften Wunsch der Bevölkerung Rechnung tragend, forderte die österreichische Regierung am 12.4.1862 ultimativ die völlige Trennung beider Teile; am 20.6.1862 wurde die Konzession für einen eigenständigen österreichischen Teil erteilt, der jetzt als «k.k. privilegierte Südbahn-Gesellschaft» firmierte. Die außerhalb des österreichischen Gebiets gelegenen Linien wurden von der «Società delle strade ferrate della Lombardia e dell'Italia centrale» betrieben, zu der am 30.6.1864 sämtliche piemontesische Eisenbahnen (841 km) hinzugekauft wurden. Ab dem 14.5.1865 entstanden hier die «Strade Ferrate dell'Alta Italia» (SFAI). Durch den Sieg der Preußen 1866 und den daraus resultierenden Verlust Venetiens gelangten schließlich weitere 413 km Strecke unter italienische Staatshoheit. Letztlich liefen aber die Fäden von SFAI und Südbahngesellschaft nach wie vor bei derselben «Holding» zusammen, nämlich beim Rothschild-Comité in Paris ([4], S.45; [13]).

Bild Abb. 15: LICAON, kkStB Reihe 289, Umbau aus 1B-Schlepptenderlokomotive der KFNB Reihe VII (SILESIA-Klasse), John Haswell 1851, im Eisenbahnmuseum Straßhof. Photographie: Herbert Ortner.
Abb. 15: LICAON, kkStB Reihe 289, Umbau aus 1B-Schlepptenderlokomotive der KFNB Reihe VII (SILESIA-Klasse), John Haswell 1851, im Eisenbahnmuseum Straßhof. Photographie: Herbert Ortner.

Von dem 1B-Lokomotivtyp der Südbahn blieb vermutlich kein einziges Exemplar erhalten; allerdings ist noch eine ehemalige 1B-Schlepptenderlok der KFNB ähnlicher Konstruktion auf uns gekommen, nämlich die 1851 von John Haswell erbaute LICAON[Link:Abb_15], die zur Tenderlok umgebaut die Jahrzehnte bei der Stiegl-Brauerei in Salzburg überdauerte und heute in Straßhof steht. Zwar ist diese Maschine im Prinzip betriebsfähig, aber durch zahlreiche Umbauten stammen heute wohl nur noch wenige Teile daran tatsächlich aus dem Baujahr.

Bild Abb. 16: 2B-Schlepptenderlokomotive STEINBRÜCK (SÖDING), John Haswell 1848/1850, spätere Südbahn-Reihe 15a, Bahn-Nr. 809-830. Technisches Museum, Wien.
Abb. 16: 2B-Schlepptenderlokomotive STEINBRÜCK (SÖDING), John Haswell 1848/1850, spätere Südbahn-Reihe 15a, Bahn-Nr. 809-830. Technisches Museum, Wien.

Im Technischen Museum Wien findet man außerdem die ein Jahrzehnt vor der MERCURIO erbaute STEINBRÜCK[Link:Abb_16], eine 1848 ebenfalls von Haswell erbaute Maschine, die zwar amerikanischen Typs ist, aber tatsächlich von der Südbahngesellschaft auf der Wiener Neustadt-Gloggnitzer Strecke eingesetzt wurde. Ein Besuch im Museum stellt den Respekt vor der Heldentat des Gemeinen Meinhard Kotsis wieder her, denn ein Versuch, am glatten, hohen Tender mit Aussenrahmen aufzuspringen, hätte auch bei nur geringer Geschwindigkeit durchaus heldenhaftes Draufgängertum erfordert.


Der Autor freut sich über weitere Hinweise, Korrekturen und Ergänzungen (E-mail: nerwer06-kbaystsb[bitte hier das at-zeichen einsetzen]yahoo.de ).


Quellen

[1]: http://de.wikipedia.org/wiki/Solferino
[2]: http://de.wikipedia.org/wiki/Lombardisch-venetianische_Eisenbahnen
[3]: v. Röll: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens (Eintrag zu «Österreichische Südbahn»). Band 7, S.444-448. Berlin, Wien 1915 http://www.zeno.org/Roell-1912/A/Österreichische Südbahn
[4]: Dietrich, H.: Die Südbahn und ihre Vorläufer. Bohmann Verlag, Wien 1994, 352pp.
[5]: Strach H.: Geschichte der Eisenbahnen Oesterreich-Ungarns von den ersten Anfängen bis zum Jahre 1867. S.73-503. In: Strach, H. (Hrsg.): Geschichte der Eisenbahnen der Oesterreichisch-ungarischen Monarchie. Bd. I-1, Prochaska, Wien 1898.
[6]: Gerstel G.: Mechanik des Zugsverkehrs, S.1-56. In: Strach, H. (Hrsg.): Geschichte der Eisenbahnen der Oesterreichisch-ungarischen Monarchie. Bd. III. Prochaska, Wien 1898.
[7]: Kohlfürst L.: Signal- und Telegraphenwesen, S.57-118. In: Strach, H. (Hrsg.): Geschichte der Eisenbahnen der Oesterreichisch-ungarischen Monarchie. Bd. III, Prochaska, Wien 1898.
[8]: Die Lokomotive (1916), S. 247-255 http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno-plus?apm=0&aid=lok&datum=19160005&zoom=2&seite=00000247
[9]: http://de.wikipedia.org/wiki/SB_4
[10]: Kaemmerlen, I. und Kaemmerlen, A: Stehelin et Huber de Bitschwiller: pionniers de la construction de la locomotive à vapeur en Alsace. In: Mulhouse et la conquête du rail 1839-1989. Bulletin de la Société Industrielle de Mulhouse No.814, 3/1989, S.41-49.
[11]: Combe, J.-M.: L'Alsace et la machine à vapeur 1831-1955. In: Mulhouse et la conquête du rail 1839-1989. Bulletin de la Société Industrielle de Mulhouse No.814, 3/1989, S.53-87.
[12]: Rabl, M., Stockklausner, J.: Österreichische Personenwaggons. Slezak Verlag, Wien 1982. 356pp.
[13]: v. Röll: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens. Band 6. Berlin, Wien 1914, S. 281-297 (Eintrag zu „Italienische Eisenbahnen“), sowie Band 7. Berlin, Wien 1915, S. 444-448 (Eintrag zu „Österreichische Südbahn“).

Mein herzlicher Dank gilt dem Verlag Josef Otto Slezak, Wien, der es gestattete, historische Photographien der Personenwagen aus dem Buch «Österreichische Personenwaggons» (ISBN 3900134669, [12], S.99-101; siehe Abb. 12-13) an dieser Stelle wiederzugeben.

Wo nicht anders vermerkt, liegen alle Text- und Bildrechte beim Autor. Die kommerzielle Verwertung von Text und Bildern ohne vorherige Zustimmung, auch auszugsweise, ist untersagt.
Abb. 14 stammt von Fabio Zenucchi, alle Rechte liegen dort.

Abb. 15 der LICAON stammt von Herbert Ortner (http://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Licaon_in_Strasshof.jpg) und unterliegt der GNU-Lizenz (siehe http://commons.wikimedia.org/wiki/Commons:GNU_Free_Documentation_License )

Photos are under the copyright of their respective owners.

Für das Überschriftstitelbild wurde die Abbildung des Ordens aus http://de.wikipedia.org/wiki/Militaerverdienstkreuz_(Österreich) zuhilfegnommen. Die Abblildung unterliegt ebenfalls der GNU-Lizenz [J. Riedl]